Eine Hochzeit, eine Sünde, viele Monster und noch mehr Außerirdische

"Das Filmemachen sollte eigentlich (...) ein ziemlich faszinierendes Abenteuer sein. Das ist es nicht; es ist eine nicht endenwollende Balgerei zwischen geschmacklosen Egoisten, von denen manche mächtig, fast alle Schreihälse und ebenso fast alle unfähig sind, etwas Schöpferisches zu vollbringen, das über Ideendiebstahl und die eitle Beförderung der eigenen Person hinausgeht."

Raymond Chandler, der letzte Woche in den Feuilletons auftauchte, weil sein Todestag, der 26. März, sich zum 50. Mal gejährt hatte. Ein so häufiger wie eigentlich befremdlicher Anlass für Elogen. ("Ein halbes Jahrhundert ist der Arsch unter der Erde. Das muss gefeiert werden!")


Woche 14/2009 (2.4. - 8.4.)

Die Neustarts:


Der Titel lässt einen die übliche zuckrige wie debile Romcom erwarten, doch handelt es sich hier um etwas völlig anderes: Der Zuschauer von RACHELS HOCHZEIT taucht während der Vorbereitungen zu eben dieser in die Abgründe einer amerikanischen Familie ein, die zum Glück nicht schon wieder von irgendwelchen elenden Missbrauchsgeschichten gefüllt sind, sondern zur Abwechslung mal gewöhnlichere und damit wahrhaftigere Probleme enthalten. Vor allem geht es um die Schwester der Braut, gespielt von Anne Hathaway, bekannt als Assistentin mit Nehmerqualitäten aus DER TEUFEL TRÄGT PRADA, die als nervöses Wrack das Gelingen der Feier akut gefährdet. Der Film hat mehr mit europäischem Kino als mit Hollywoodstandards zu tun; dafür sorgt die wackelige Handkamera, das Bestreben nach Authentizität und das kleine Budget. Regie führte Jonathan Demme, der einst bei Roger Corman startete und in seiner Filmographie vom ZUCHTHAUS DER VERLORENEN MÄDCHEN (ja ja, halbnackte Frauen hinter Gittern) über Dokumentar- und Konzertfilme (STOP MAKING SENSE) bis hin zu Hollywood-Blockbustern wie DAS SCHWEIGEN DER LÄMMER höchst unterschiedliche Werke angehäuft hat.

RACHELS HOCHZEIT läuft nur in den Elbvororten, wo man ähnlich gut lebt wie Rachels Eltern, im Blankeneser und im UCI Othmarschen. Hier die übrigen Kinos.


Carlos Reygadas, der Regisseur der beiden eigenwilligen Filme BATTLE IN HEAVEN (ein Szenenfoto daraus hat diesem Blog letztes Jahr erstaunliche Besucherzahlen verschafft, die kamen alle über die Googlebildersuche) und JAPON, hat vor zwei Jahren in Cannes für diesen Film den Jurypreis erhalten. Jetzt kommt STELLET LICHT doch noch in unsere Kinos. Ein kleines Wunder, macht die Kombination von einer faszinierenden Bildsprache mit einer sperrig und dialogarm erzählten Geschichte, Laiendarstellern, einem obskuren Herkunftsland (Mexiko) und einem noch viel obskureren Setting (spielt in der Welt von Mennoniten, die in der mexikanischen Provinz unbeirrt Plautdietsch sprechen) zwar Kritikern viel Freude, erweist sich aber sicher nicht als Kassenknüller.

Worum es geht? Um einen Mann, zwei Frauen, die Gemeinde und Gott. Mir gefallen Geschichten von Menschen, die sich gegen engstirnige Gemeinschaften stellen. (Wenn das mal nicht mit den ganzen Baptisten in meiner Familie zu tun hat.) Aber wen das Thema kalt lässt, der hat vielleicht Freude an einem der formal sicher interessantesten Filme des Frühjahrs.

STELLET LICHT läuft im 3001. Hier die Abspielorte anderswo.


Außerdem neu:


Ein computeranimiertes 3D-Spektakel, in dem Monster die Erde gegen Außerirdische verteidigen, eine Parodie auf die Invasions-Paranoia-Filme der Fünfziger mit hübsch designten originellen Figuren; das klingt doch erstmal alles sehr viel versprechend. Nur hat die am attraktivsten daherkommende Dreamworks-CGI-Produktion, die es je gab, wahrscheinlich einen Haken: Besonders komisch scheint die Komödie nicht zu sein. Der Trailer entlockt mir nicht einmal ein Schmunzeln, und das ist in diesem Genre höchst verdächtig; da wird das Pointenpulver gemeinhin schon gern verschossen. Ich gehe so oder so rein, nämlich als Begleiter eines von Vorfreude schwer erregten Sechsjährigen und werde sicher auch meine Freude an den 3D-Effekten haben; mir machen solche Jahrmarktsattraktionen Spaß. Roger Ebert dagegen überhaupt nicht:

"Ich sag es gleich, damit es erledigt ist: 3-D ist eine einzige Ablenkung und ein Ärgernis. Junge Kinobesucher glauben vielleicht, sie mögen es, weil man es ihnen so beibringt und Filmqualität kümmert sie meist nicht sonderlich. Aber für jeden, der sich einfach in Ruhe das verflixte Ding anschauen will, so wie ich, ist es ein fortwährendes Knuffen in die Seite, das einem sagt: Scher' dich nicht um die Geschichte, guck einfach wie toll ich aussehe. Wenn das nicht nur für die Kleinen, sondern auch für Erwachsene die Zukunft des Kinos darstellt, dann mögen Heilige uns beistehen."

MONSTERS VS. ALIENS läuft bei uns in 3D in den UCI-Multiplexen; eine Auflistung der 3D-Spielorte bundesweit für einzelne Filme gibt es immer noch nirgendwo; da hilft nur der Vergleich der aktuellen Liste der entsprechend ausgestatteten Kinos mit der ungefilterten Aufzählung der Spielorte des Films.

Ein Problem ist wieder, dass für die deutsche Fassung irgendwelche Fernsehtypen wie Ralf Möller oder Sebastian Höffner engagiert wurden; Hauptsache sie sind ein wenig prominent. Dabei sind die animierten Figuren auf die Originalsprecher zugeschnitten; die bestmögliche Lösung bestünde also darin, die deutschen Synchronsprecher von Reese Witherspoon, Kiefer Sutherland oder Renée Zellweger einzusetzen. Ach, ein frommer Wunsch bleibt das.


Oha, ein für deutsche Verhältnisse sauteurer Film über einen Siemenswerksleiter und Nazi, der in einer Anwandlung von Herzensgüte mit Hilfe von schönen Hakenkreuzfahnen "seine" Chinesen vor japanischen Bomben rettet. Und alles spricht dafür, dass es genauso doof und unerträglich ist, wie man sofort erwartet: Berichtet wird von schmalziger und erdrückender musikalischer Bombastbegleitung, von Chinesen als einer amorphen Masse schlitzäugigen Kanonenfutters, von übelsten Sentimentalitäten, von Reißbrettcharakteren und öder Dramaturgie.

Interessant ist der Schinken höchstens im Vergleich zum chinesischen Film zum selben Thema, den es dieses Jahr hoffentlich auch bei uns noch zu sehen geben wird.

JOHN RABE bei uns im Passage, im Abaton und im UCI Mundsburg, die Kinos anderswo sind hier gelistet.


An meine wenigen Begegnungen mit den artifiziellen, bizarren, schwerstschwulen und hochkulturell durchtränkten Filmwelten von Werner Schroeter denke ich mit Schrecken zurück und werde den Teufel tun, mir das das jüngste Werk, DIESE NACHT, des alten Regisseurs anzuschauen. Scheint auch alles wie gehabt zu sein: "Großartige Bilder und Momente, aber ein rätselhafter Gesamteindruck fügen sich zu einem völlig unzeitgemäßen Film. Faszinierend, wie Schroeter jede Konzession an den Zeitgeist vermeidet", lobt Rüdiger Suchsland. Falls ihr dieser Faszination auch erliegen wollt, geht ins Metropolis am Steindamm. Hier die weiteren Kinos.


Der jüngste und offenbar besonders miese Beitrag der Actionserie mit getunten Autos und Titten. Hier die Kinoübersicht für FAST & FURIOUS – NEUES MODELL. ORIGINALTEILE. (Doch, der Titel enthält wirklich einen Punkt.) Die Actionszene, die zwei Drittel des Trailers ausfüllt, dürfte den einsamen Höhepunkt darstellen. Bis dahin gibt es wohl reichlich dämlichen Quark auszulöffeln.


RELIGULOUS ist eine Verballhornung von "religous" und ridiculous"; es handelt sich um eine Doku, in der der populäre Talkshowplapperer Bill Maher überall in der Welt mit religiösen Spinnern redet und diese dabei als religiöse Spinner entlarvt. Nur für Kirchgänger und andere Gläubige zu empfehlen. Hier die Kinoübersicht. Wer tatsächlich Interesse hat und nicht in Berlin lebt, sollte unbedingt auf die DVD-Veröffentlichung warten: Die Interviews wurden in der sonst überall gezeigten deutschen Fassung wie in einem Spielfilm synchronisiert, das dürfte ziemlich unerträglich sein.



Wöchentliche Provinzialitätsmessung:


Anderswo startet auch nicht mehr. Schon wieder 100%! Woran liegt's? Kommen diese Jahr vielleicht einfach weniger Filme in die deutschen Kinos? Nächste Woche mehr dazu.



Weiterhin:


O´HORTEN wieder im Alabama. Hier die Kinos andernorts.

SLUMDOG MILLIONAIRE bei uns im Streits OF, im Abaton OmU und in deutscher Fassung im Zeise und in allen Multiplexen. Die Kinos andernorts hier.

THE WRESTLER spät im 3001 OmU, noch einmal spät im Abaton OmU, synchronisiert im Magazin und am Montag im Cinemaxx Harburg. Hier die Kinos andernorts.

GRAN TORINO bei uns im Abaton OmU, im Streits OF, ansonsten im Holi, Zeise, Koralle, in den UCI-Multiplexen und hier andernorts.

JERICHOW wieder im Elbe. Hier die weiteren Kinos.

VICKY CRISTINA BARCELONA im Passage und im Koralle. Und hier ansonsten.

DIE KLASSE noch ein paarmal mittags OmU im Abaton. Außerdem noch hier.

WALTZ WITH BASHIR noch einmal nachmittags am Samstag im Abaton. Hier die restlichen Kinos.

Nicht mehr bei uns, aber noch anderswo zu sehen: DER KNOCHENMANN (Kinos), THE FALL (Kinos), REVANCHE (Kinos), SO FINSTER DIE NACHT (Kinos), 35 RUM (Kinos), ALTER UND SCHÖNHEIT (Kinos), IT´S A FREE WORLD (Kinos), DER FREMDE SOHN (Kinos), BOLT (Kinos) und DIE PERLMUTTERFARBE (Kinos).



Außer der Reihe:




Im Metropolis: Unter anderem wird DAS SIEBENTE SIEGEL auf der Riesenleinwand gezeigt. Eine Gelegenheit für alle, die die 250 bestbewerteten Filme bei imdb alle kennen wollen: Der Ingmar-Bergmann-Film steht zur Zeit auf Platz 101 (Note 8,4).
Weiter geht's außerdem mit der Gérard-Dépardieu-Reihe.



Umsonst und zuhause:


Am Donnerstag:




Ausnahmweise hier ein Hinweis auf einen originären Fernsehbeitrag: Anlässlich des frisch erhaltenen Grimmepreises gibt es auf N3 um 23.00 Uhr direkt im Anschluss an Extra 3 eine Extra-Extra-3-Sendung mit den schönsten Johannes-Schlüter-Reportagen, die letzten Sonntag auch gebührend von Stefan Niggemeier in der FAS gelobt wurden. Lässt sich aber auch prima online gucken; die Filmchen haben genau die richtige Länge für youtube. Herrlich. ShowView 933.531


Am Freitag:



Robert Mitchum und Deborah Kerr als soldatisches Raubein und keusche Schwester ganz allein auf einer einsamen Insel. Von John Huston, gedreht 1957. Muss man gesehen haben. DER SEEMANN UND DIE NONNE im WDR um 23:15 Uhr, ShowView 3.456.048


Auch am Freitag:



Geht'n Killer zum Psychologen ... nein, PANIC ist keine Klamotte, sondern bringt das Kunststück fertig, trotz der von Genrekonventionen bestimmten Ausgangsituation überzeugende Charaktere und ein intensives Drama zu entwickeln. Roger Ebert hielt den Film für einen der besten des Jahres 2000 und hat ihn in seinem "Overlooked Film Festival" präsentiert. Mit dem tollen William H. Macy.
ShowView 1.902.159 (VPS: 8.178.365)


Am Samstag:



Zwei Jahre nach dem REICH DER SINNE hat Nagisa Oshima so eine The-Postman-always-rings-twice-Geschichte aus dem Japan des 19. Jahrhunders erzählt, plus Geistererscheinungen. Toll gefilmtes Drama, selten gezeigt und blöderweise wegen des Erfolgs des Vorgängers irreführend betitelt: IM REICH DER LEIDENSCHAFT. Auf Tele5 um 22:10, ShowView 7.297.164




Auch am Samstag:


Spröder kleiner, grobkörniger Schwarz/Weiß-Film aus Argentinien, in dem zwei fast gleich aussehende Lesben eine Verkäuferin entführen und mit ihr ans Meer fahren. Sieht ein wenig nach STRANGER THAN PARADISE aus (sogar das Plakat). AUS HEITEREM HIMMEL, im WDR, um Mitternacht, ShowView 350.259


Auch am Samstag:


Die schönste Variante der Bodysnatchergeschichte, von 1978, mit Donald Sutherland: DIE KÖRPERFRESSER KOMMEN im Ersten um 01:10 Uhr, ShowView 6.251.501
Unvergesslich die Schreie und ausgestreckten Arme der Befallenen: Was für ein simples und dabei unheimlich effektives Mittel!


Am Sonntagmorgen:



Klassischer und guter früher Alfred-Hitchcock-Film aus Großbritannien, von 1936, mit Peter Lorre in seiner letzten Rolle, bevor er weiter nach Hollywood ging. GEHEIMAGENT auf Tele5 um 08:55 Uhr, ShowView 23.193.679


Auch am Sonntag:


Ein Drama aus der neuseeländischen Provinz in den vierziger Jahren: Ein Farmer dreht durch und läuft Amok. Soll ein unterschätzter und solider Actionfilm mit vernünftig ausgearbeiteten Charakteren sein. BÖSES BLUT, von 1980, um 00:10 Uhr auf 3Sat, ShowView 97.923.254



Am Montag:



ENGLAND! von Achim von Borries, die Geschichte eines traurigen, strahlenverseuchten Russen in Berlin, ist einer der besten deutschen Filme des Jahrzehnts, der absurderweise kaum Beachtung fand und nicht auf DVD erhältlich ist. Also programmieren: Im ZDF um 23:50 Uhr, ShowView 4.846.273



Am Mittwoch:



Der eine der beiden gelungenen Gaunerfilme von Guy Ritchie, SNATCH – SCHWEINE UND DIAMANTEN; wie vielversprechend sah das vor einem knappen Jahrzehnt aus; wie schade, dass das schon der Höhepunkt seiner Karriere war. Die deutsche Synchronisation des Gebrabbels von Brad Pitt ist übrigens erstaunlich gut gelungen.
Um 22:15 Uhr auf
Kabel 1, ShowView 5.304.137


Auch am Mittwoch:



Klaus Lemke, der Regisseur des legendären ROCKER hat vor zwei Jahren wieder in Hamburg gedreht, das Low-Budget-Drama heißt DANCING WITH DEVILS und erlebt seine Premiere jetzt im Fernsehen, im ZDF um 23:45 Uhr. Es steht zu befürchten, dass der Kiez- und Koksfilm nicht an frühere Wunderwerke des Improvisationsmeisters mit großer Klappe heranreicht. Mal sehen. ShowView 6.688.359


Auch am Mittwoch:



Ein Verbrechen, erzählt in RASHOMON-Manier aus sechs Perspektiven, nacheinander. DIE NACHT DER SONNENBLUMEN könnte ein cleverer und spannender Psychothriller sein. Hoch bewertet bei imdb mit der Durchschnittsnote 7,3. Kommt aus Spanien, ist von 2006 und läuft auf arte um 23:15 Uhr in deutscher Erstaufführung. Zum Glück hatten sie kein Geld für die Synchronisation; der Film wird OmU ausgestrahlt, ShowView 3.671.408



Wie immer gibt es außerdem noch viele weitere sehenswerte und wohlbekannte Filme im Programm, beispielsweise die Klassiker URTEIL VON NÜRNBERG,
DER MANN IN DER SCHLANGENHAUT, EINST EIN HELD und WIR SIND VOM SCHOTTISCHEN INFANTERIE-REGIMENT (Laurel & Hardy), die Dokus UNSER TÄGLICH BROT, WORKINGMAN'S DEATH und WE FEED THE WORLD, die Genre-Highlights EXISTENZ (Cronenberg), BLUE STEEL und TAXI DRIVER, die Kim-Ki-Duk-Filme BIN-JIP, SAMARIA und HWAL sowie DAS HOCHZEITSBANKETT, DIE BLECHTROMMEL und DER BAUCH DES ARCHITEKTEN (Greenaway). Wer suchet, der findet.

Wer die Fernsehtipps lieber häppchenweise, an den jeweiligen Ausstrahlungstagen lesen will, wechselt zur Fernsehprovinz.



Eine Googleabfrage, die letzte Woche jemanden
auf diese Seiten führte: "strenge Schwester".

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