Pixel, Mullahs und ein toter Fötus

Woche 47/2007


In den letzten 2 Wochen habe ich zweimal Vorstellungen in unterirdischer Qualität erlebt: Links und rechts war das Bild beschnitten, die Farben waren blass, der Kontrast gering, bei Schwenks und Bewegung vor der Kamera gab es pixelige Bildstörungen und alles war schön unscharf. Im Eiszeit in Berlin bei DIE DREI BEGRÄBNISSE DES MELQUIADES ESTRADA war es nicht ganz so arg, im Koralle bei den CHRONIKEN VON ERDSEE war es schlimm. Da gab´s außerdem auch noch ein begleitendes Grundbrummen auf der Tonspur.
Die Ursache der Übel: Statt 35mm-Film wurde digital von DVD projeziert. Kein Hinweis darauf war im Programm zu finden, der Eintrittspreis war nicht nicht etwa reduziert für diese youtubeartigen Vorstellungen, die Verleiher und Betreiber gehen offenbar davon aus, das sie sich die teuren Kopien sparen können und wir doofen Zuschauer uns das klaglos gefallen lassen.
Und sie könnten vielleicht recht haben: Die Mehrheit frisst den Dreck vermutlich, merkt nicht einmal was davon, da sie sich an grottenschlechte Bilder zuhause gewöhnt hat, da wird heutzutage ja in der Regel ein furchtbar aussehendes digitalisiertes PAL-Bild akzeptiert. Hauptsache der Fernseher ist flach und teuer. Ganz zu schweigen von dem Pixelmüll, der aus dem Netz gefischt wird.
Wer die DREI BEGRÄBNISSE im 3001 gesehen hat, hatte das Glück, eine Projektion der angeblich einzigen 35mm-Kopie zu erleben, wie mir vom Kino mitgeteilt wurde. Aber die Betreiber hätten das Problem, dass ihnen "Digital-Kopien" angeboten würden, auch immer häufiger.
Es ist also ein Trend. Ein Trend, der besonders die kleinen Kinos und die kleinen Filme mit geringer Kopienzahl betrifft und damit Zuschauer, die vielleicht doch etwas anspruchsvoller sind. Die sich den Preisunterschied zwischen der DVD im Kino und der DVD 3 Monate später zuhause bewusstmachen. Wenn das mal kein Trend zum beschleunigten Absterben der Kinos wird. Klassischer Fall von "eigenes Grab schaufeln", könnte man sagen.
Ab sofort müssen wir wohl leider vorab beim jeweiligen Kino nachfragen, ob es überhaupt eine richtige Kopie abbekommen hat. Oder gleich drauf verzichten. Was für ein Scheiß.



Abendfüllende Zeichentrickfilme für Erwachsene, außerhalb von Japan produziert, gibt es eigentlich gar nicht. Eine der wenigen Ausnahmen von dieser Regel kam in den letzten Jahren aus Frankreich: DAS GROSSE RENNEN VON BELLEVILLE. Heute startet erneut ein französischer 2-D-Animationsfilm, bei dem unglaublicherweise sogar auf Farbe verzichtet wird. Marjani Satrapi hat die Filmrechte an ihrer überraschend erfolgreichen Serie autobiographischer Comics erfreulicherweise nicht irgendwohin verkauft, sondern selbst für eine Adaption gesorgt, die man man im Traum nicht für möglich gehalten hätte.
PERSEPOLIS erzählt die Geschichte einer Kindheit in Teheran und einer Jugend in Wien, subjektiv und intelligent und interessant und völlig einzigartig in dieser Form. Läuft hoffentlich auf 35mm im Studio, Zeise und im Abaton.
Eine stattliche Anzahl von Ausnahmen der obigen Regel sind übrigens dem unermüdlichen Bill Plympton zu verdanken. In Hamburg ist eine Menge davon glücklicherweise leicht zu kriegen, den Bücherhallen sei Dank.


4 MONATE, 3 WOCHEN UND 2 TAGE, ein realistisches Feel-Bad-Movie aus Rumänien, schafft es nach dem Gewinn der Goldenen Palme sogar in Hamburger Kinos.
Die wahrscheinlich schwer auszuhaltende Geschichte einer Abtreibung in den 80ern, dem "goldenen Zeitalter" Rumäniens, wie es im Abspann heißt, scheint mit zurückhaltenden Mitteln enorme Wirkung zu entfalten. Wer sich traut geht ins 3001 oder ins Holi.


Diese Woche startet auch mal wieder einer der kritischen Irakkriegsfilme, diesmal MACHTLOS. Da werden offensichtlich komplexe Probleme mit simplen Standard-Hollywood-Mitteln angegangen, ich spar mir das, aber ihr vielleicht nicht: Läuft in den Multiplexen und OF im Grindel.


Was die Welt mit Sicherheit nicht gebraucht hat ist ein Beatles-Musical, aber hier ist es: ACROSS THE UNIVERSE soll sich durch schwache Coverversionen sowie die nicht steigerungsfähige jeweils plumpeste Verbindung von einer doofen Hippiehandlung mit den Songs auszeichnen.
Wer sich das antun möchte, geht ins Abaton (OF), ins Passage oder in das UCI Mundsburg.
Besser wäre es sicherlich, sich von Andreas mal A HARD DAY'S NIGHT oder HELP zu leihen, egal ob man die Lester-Filme schon kennt oder nicht.
Immerhin bleibt uns bislang die Geschichte der Beatles als Biopic erspart, mir schaudert schon bei dem Gedanken daran. Aber irgendwann kommt das bestimmt. Vielleicht mit Hugh Grant als Paul McCartney.


Weiter läuft:

AMERICAN GANGSTER in den Multiplexen, im Koralle und OF im Grindel.

AUF DER DER ANDEREN SEITE u. a. im großen Passage, nur ist das Format leider nicht breit genug, so dass die einmalige Klappleinwand nicht ausgefahren wird.

DIE DREI BEGRÄBNISSE DES MELQUIADES ESTRADA nur noch nachmittags im 3001.

GEFAHR UND BEGIERDE an einigen Tagen im Alabama

RATATOUILLE im Cinemaxx auch noch in der Abendvorstellung, ansonsten nur noch nachmittags.


Umsonst und zuhause:

Wer hr3 empfangen kann, hat am Montag um 23.45 Gelegenheit den lustig-durchgeknallten SPUN zu gucken.

Und wie immer sind ein paar ältere und allseits bekannte Perlen im Programm versteckt, wie zum Beispiel THOMAS CROWN IST NICHT ZU FASSEN, die suche ich Euch aber nicht alle raus.



Kinos, Folge 3: Im unvermeidbaren Abaton.

2 Kommentare:

  1. Tja, habe "Persepolis" jetzt gesehen und war angesichts der Klischeelastigkeit, der grottigen Dialoge und der sich gegen Ende des Films immer zäher dahinschleppenden und mich immer weniger interessierenden Geschichte ziemlich entäuscht. Der Rest der Welt, einschließlich des Betreibers dieses Blogs, scheint sich aber darauf geeinigt zu haben, dass der Film toll ist. Da muss ich mich wohl geirrt haben ... Ach ja: Schön gezeichnet ist er, das muss ich zugegeben.

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  2. @Andreas:
    Interessant ist, wie sehr sich der Rest der Welt einig ist: 100% bei Rotten Tomatoes, 8,3 ist die durchschnittliche Bewertung bei imdb und in Deutschland scheint auch kein einziger Verriss erschienen zu sein.
    Eigentlich unverständlich, denn die naive Erzählhaltung und der unspektakuläre Tagebuchcharakter kann einfach nicht jedem gefallen. Vielleicht macht die ungewöhnliche Form und das Mullah-Bashing, auf das sich alle einigen können, das für einige wett.

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