Strudelnd abwärts: Verlierer in New York und Flieger im Weltkrieg

Woche 15/2008


Die große Zeit von Sidney Lumet mit Filmen wie HUNDSTAGE oder SERPICO liegt schon Jahrzehnte zurück, aber mit TÖDLICHE ENTSCHEIDUNG scheint dem 83-jährigen noch einmal ein großer Wurf gelungen zu sein. Es geht im wesentlichen um zwei Brüder, der eine scheinbar ein erfolgreicher Geschäftsmann, der andere eine Verlierer ohne richtigen Job. Dafür schläft er aber mit der Frau seines Bruders, mit dem es in Wirklichkeit auch mächtig bergab geht. Schließlich kommt es zu einem Verbrechen, das noch weitere Familienangehörige trifft.
Der zur Zeit unvermeidliche Philip Seymour Hoffman sowie Ethan Hawke geben das Brüderpaar und sie machen ihre Sache sicher gut. Die Geschichte wird nüchtern erzählt, das Verlieren bleibt erfreulich unromantisch. Einige Verschachtelungen sollen nicht überflüssig selbstzweckhaft sein, sondern geschickt spannungsverstärkend wirken.
Und einen schönen Titel hat der Film im Übrigen auch noch, jedenfalls im Original: BEFORE THE DEVIL KNOWS YOU`RE DEAD. Ich freu mich drauf. Läuft im Abaton OmU und im Cinemaxx nur spät, wird also schnell wieder verschwunden sein.

Gedreht wurde übrigens nicht auf Film, sondern digital in HD. Lumet meinte bei einer Pressekonferenz zur Premiere, dass er nur noch so arbeiten werde und er prognostizierte, dass in 5 Jahren die Zeit des analogen Materials vorbei sei. Ob er damit Recht behalten wird, hängt ganz wesentlich vom Aussehen solcher HD-Filme wie TÖDLICHE ENTSCHEIDUNG ab. Auch darauf bin ich gespannt.




DER ROTE BARON hätte ein faszinierender Kriegsfilm werden können, aber die deutsch-amerikanische Co-Produktion mit Matthias Schweighöfer und einem angeblich ganz passablen Til Schweiger scheint gründlich daneben gegangen zu sein: Der Krieg ist sauber und die Piloten sind Gentlemen und viel interessanter als der Luftkrieg ist des Barons Zuneigung zu einer Krankenschwester, fanden die Produzenten. Roger Corman hat sich bereits 1971 des Stoffs angenommen, aber wohl damals auch nix dolles hingekriegt. Der Rote Baron hat seine größten Momente also weiterhin als unsichtbarer Gegner eines Beagle:

Der aktuelle Film ohne Hund läuft in den Multiplexen.



21 ist der erste mir bekannte Film, in dem alle Hauptpersonen Mathematiker sind: Ein Professor macht mit einer Gruppe von Studenten Ausflüge nach Las Vegas und nimmt die Casinos systematisch beim Black Jack aus. 21 ist das Alter eines schüchternen Studenten, der neu zu der Gruppe stößt und so interessiert sich der Film wohl gleichermaßen für dessen Entwicklung wie für den Coup am Spieltisch. Scheint handwerklich ganz gelungen zu sein, nicht zuletzt dank Jim Sturgess und Kevin Spacey in den Hauptrollen, nervig sei allerdings der Soundtrack, schreibt der filmdienst: "Die Art, wie hier nonstop Song an Song gekleistert wird, als fürchteten die Macher die Stille so sehr wie ein Spieler die Pechsträhne, ist auf die Dauer etwas penetrant." Die Geschichte ist mal wieder eine "wahre". Läuft auch in den Multiplexen.




In OUTSOURCED (zum deutschen Titel gehört noch der ekelige Zusatz "Auf Umwegen zum Glück") wird ein Callcenter von den USA nach Indien verlegt und die Hauptfigur wird als Ausbilder der neuen, billigen Arbeitskräfte hingeschickt. Dabei kommt es zum zu erwartenden Culture Clash und um Liebe geht es natürlich auch. Alle Klischees sind vorhanden, ein ignoranter Cheeseburger-Ami stösst auf Kühe im Callcenter, das Kamasutra und farbenfrohe Feste und wächst schließlich über sich hinaus. Klingt grauenhaft, aber die Kritiker sind wieder des Lobes voll. Nun ja, für die Little-Miss-Juno-Fraktion ist das sicherlich auch wieder ein ganz reizender Film, auf Andere wirkt er vielleicht doch mehr wie ein DARJEELING LIMITED für Doofe. Läuft im UCI Othmarschen in deutschen Fassung, in der es zumindest keine Sprachprobleme zwischen den Kulturen gibt: Inder und Amis sprechen allesamt Hochdeutsch.



Den zahlreichen Freunden Indiens und Bollywoods ist eher eine Rarität zu empfehlen, die das Metropolis am Montag und Mittwoch zeigt: SHREE 420, ein Klassiker von und mit Raj Kapoor von 1955, einer der indischen Filme aus der Zeit, die stark vom italienischen Neorealismus beeinflusst sind. Gesungen und getanzt wird natürlich trotzdem ausgiebigst. Nur in der deutschen Fassung aus der DDR nicht, da wurden die Gesangsszenen hemmungslos rausgeschnitten: DER PRINZ VON PIPLINAGAR ist gerademal noch 112 Minuten lang, die im Metropolis gezeigte Fassung hingegen 168 Minuten. Läuft mit englischen Untertiteln.
Hier ein Link zum kostenlosen Download des Soundtrack, stammt von "Parties, Sarees And Melodies".


HALF NELSON erzählt von einem cracksüchtigen Lehrer, einer Schülerin, die ihn beim Konsumieren ertappt und von der Freundschaft, die sich daraufhin zwischen beiden entwickelt. Eine Geschichte, die mich kein bisschen interessiert. Sollte das bei Euch anders sein, dann geht auf jeden Fall rein: Schauspielerisch (Ryan Gosling) und filmisch soll´s gut sein, die auf 16mm gedrehte Independent-Produktion ist meilenweit von den üblichen idealistischer-Lehrer-rettet-gefährdete-Ghetto-Kids-Klischees entfernt. Läuft im Studio.



Wer denkt, na, dann gehe ich diese Woche doch lieber in eine Tierdoku, nämlich SHARKWATER, da wird sich der faszinierenden und bedrohten Haie angenommen, ist bestimmt beindruckend und engagiert und eisbärenfrei, der sei gewarnt: "Was den Film mit zunehmender Dauer vor allem schwer erträglich macht, ist die Penetranz, mit der sich der Regisseur als Selbstdarsteller ins Bild setzt und obendrein auch noch im Off-Kommentar pausenlos von sich und seiner Liebe zu den Haien erzählt. Dabei strotzt der Kommentar in Bezug auf die bedrohte Tierart vor Redundanzen, da eigentlich nach 15 Minuten bereits alles gesagt ist, was es dazu zu sagen gibt. So bewundernswert man Stewarts Engagement für den Schutz der Haie finden mag, so wenig bemerkenswert ist sein Film dazu.", schreibt Reinhard Lüke im filmdienst. Geboten werden neben ein bisschen Reportage über menschliche Haimörder auch jede Menge pittoresker Unterwasseraufnahmen. Wer nicht mehr verlangt, geht ins Abaton, Cinemaxx, UCI Mundsburg oder ins Koralle (Vorsicht: Da könnte es eine miserable Digitalprojektion geben).



Außerdem und weiterhin:



Allerletzte Gelegenheit: JELLYFISH von Etgar Keret im Abaton (OmU) noch einmal am Sonntagmittag um 13.15 Uhr.

DAS JÜNGSTE GEWITTER spät im 3001 (OmU) und im Zeise.

NO COUNTRY FOR OLD MEN spät im Abaton OmU, außerdem im Fama, im Passage und im Zeise.

I´M NOT THERE nur noch zweimal nachmittags im Abaton OmU. Die deutsche Fassung im Koralle.

ABGEDREHT im Abaton (OmU), im Zeise, im Cinemaxx und im UCI Mundsburg.

MICHAEL CLAYTON im Elbe.



Filme, die wir zum Glück nicht gesehen haben, Teil 4:

Ein offensichtlich besonders perfides Beispiel für die Verlogenheit des spekulativen Mondo-Genres und eine Erinnerung daran, dass der allergrösste filmische Dreck nicht immer aus Deutschland stammt. Hier ein Artikel im Spiegel zu den Protesten gegen die Aufführung in Berlin 1966.


Umsonst und zuhause:


Am Donnerstag auf Vox um 20.15 Uhr: 8 MILE, soll angeblich gut sein. Trotz Eminem. ShowView 6.386.294

Am Freitag wieder einmal das Coensche Meisterwerk mit dem Dude THE BIG LEBOWSKI, im Vierten um 20.15 Uhr. ShowView 90.470.527



Ebenfalls am Freitag und ebenfalls im Vierten der beste Tarantino-Film und gleichzeitig die beste Elmore-Leonard-Adaption aller Zeiten: JACKIE BROWN, um 22.35 Uhr.
Hier Tarantinos Gesamtwerk als Konzentrat. Das müsste es für alle bedeutenden Filmemacher geben. Gefunden bei den 5 Filmfreunden.



In der Nacht von Samstag auf Sonntag zeigt Kabel 1 um 00.05 Uhr P.T. Andersons BOOGIE NIGHTS. Im illustren Pornoreigen spielen unter anderem mit: Philip Seymour Hoffman, William H. Macy, Burt Reynolds, Mark Wahlberg, John C. Reilly, Julianne Moore, Heather Graham, Philip Baker Hall und Don Cheadle. ShowView 43.008.597



Am Montag können wir uns im ZDF um 22.15 Uhr davon überzeugen, ob BROTHERS GRIMM (der Titel ist seltsamerweise selbst im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht zu DIE GEBRÜDER GRIMM geworden) wirklich so misslungen ist, wie uns die Kritik glauben machen wollte. Terry Gilliam hat seitdem noch TIDELAND fertiggestellt, ein kleines finsteres Wunderwerk, Alice im Gilliamland. Lief bei uns nicht im Kino, ist aber auf DVD erhältlich.
Unter all den danebengegangenen Projekten Gilliams finde ich es immer noch am bedauerlichsten, dass Joanne K. Rowling sich nicht durchsetzen konnte mit ihrem Wunsch, ihn Harry Potter verfilmen zu lassen. Was für eine verpasste Chance! ShowView 490.733


Am Dienstag auf 3Sat um 23.00 Uhr: IN DEN SÜDEN. Charlotte Rampling kauft sich auf Haiti einen knackigen Neger. ShowView 9.896.757


Auf Bayern3 läuft schließlich auch am Dienstag um 23.25 DIE TÜR DER VERSUCHUNG, die Verfilmung des Irving-Romans "Witwe für ein Jahr". Soll ganz passabel sein. ShowView 1.939.931




Kinos, Folge 22: Das Grindel in Hamburg-Harvestehude, geschlossen seit März 2008

Im Kino 1, dem ursprünglich einzigen Saal, kurz vor der Schließung.


Die schönste Googleabfrage, die letzte Woche jemanden auf diese Seiten führte: "beste Mexikaner in Hamburg?"

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