Roboter und RAF-Rambos

Woche 39/2008



Von Pixar kam immer nur Gutes bislang. Von welchem Filmstudio könnte man das noch behaupten? Es ist ein Wunder. Es ist das erste Studio überhaupt, das damals einen abendfüllenden computeranimierten Film produziert hat. Wie groß war da die Gefahr, dass die Macher sich auf die Wirkung der neuen Bildwelten verlassen und einen Standardplot visualisieren. Aber das Gegenteil war der Fall. Mit cleveren Storys und liebevoll und genau gezeichneten Charakteren wurde von Anfang an ein neues, erwachsenes Publikum für den Animationsfilm erschlossen. Und das, ohne je über die Köpfe der jüngeren Zuschauer hinweg sich bei den Großen mit beliebigen popkulturellen Anspielungen anzubiedern, wie das bei Dreamworks-Produktionen später üblich wurde. Es ist überhaupt ein Wunder, dass eine solche Qualität möglich ist in diesem Massenmarkt, für den Pixar produziert. Verglichen werden muss schließlich mit dem Blockbusterzeugs, das auf den kleinsten gemeinsamen Nenner reduziert wird.
Immer wird die Balance gehalten, nie kippen die Filme vollends in Disneysche Sentimentalitäten. Vor rührenden Familienszenen wird zwar nicht zurückgeschreckt, aber immer folgt gerade noch rechtzeitig eine Ironisierung oder ein Wechsel der Tonart. Und wenn gesungen wird, macht das meistens Randy Newman. Und nicht Phil Collins. Geschmackssicher ist das, auf allen Ebenen.
Mit jedem Film wird eine riesige Verwertungsmaschine angeworfen, das war schon bei TOY STORY gleich äußerst clever kalkuliert: Die Protagonisten, allesamt fiktive Spielzeuge, gab es natürlich bald als reale Spielzeuge in jedem Kinderzimmer. Nicht sympatisch, aber völlig in Ordnung, wenn die Basis, also die Filme, so gut ist.
WALL-E ist nun also ein Science-Fiction-Film. Eine Endzeitvision. Mit Robotern als Hauptfiguren. Erst nur mit einem, weshalb statt des schwer erträglichen Staccato-Geplappers wie in MADAGASCAR eine halbe Sunde lang gar nix gesagt wird. Und dann ist es eine Liebesgeschichte.
Nach allem, was man vorab lesen und sehen konnte, ist davon auszugehen, dass es sich mindestens um ein Meisterwerk handelt. Guckt´s euch an, egal ob ihr Trickfilme sonderlich mögt oder nicht. Läuft in allen Multiplexen, im Streits OF und das Koralle hat sich auch zum Bundesstart eine Kopie geleistet.






Na mal sehen, ob das inszenierte Tamtam der letzten Wochen Erfolg hat. Die Hamburger Kinobetreiber scheinen jedenfalls fest damit zu rechnen: Der Film läuft in sämtlichen kommerziell betriebenen Kinos, bis auf das Alabama, das Elbe , das Fama und das Magazin. Sowas gab´s noch nie. Scheint auch nur bei uns in der Kinoprovinz so zu sein, denn der Eichinger-Edel-Aust-Quatsch läuft mit 550 Kopien an. Das ist zwar viel, aber ganz und gar nicht rekordverdächtig. Von WALL-E gibt es beispielweise noch 150 Kopien mehr in Deutschland. Wenn das so weitergeht, dass hier alle das Gleiche zeigen, wird die Provinz noch viel provinzieller.

Gut findet den KOMPLEX eigentlich keiner, außer denen, die vorab jubeln durften, also der SPIEGEL und FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher. Könnte dran liegen, dass Eichingers Constantin mit ihren Beschränkungen die Kritiker vergrätzt hat. Und daran, dass alle an die "wahre Geschichte" denken, die dem Film zu Grunde liegt. Die Ausschnitte, die ich bislang gesehen habe, machten aber duchaus einen ganz guten Eindruck. Die Genauigkeit der Ausstattung im Detail ist wohl der Fakten-Besessenheit Austs zu verdanken und eigentlich Banane, liefert jedoch einen attraktiven Hintergrund für ein hollywoodsches Action-Drama, ohne die genreübliche Simpelmoral. Die geht natürlich nicht, das muss alles ambivalent bleiben, um sich von keiner Seite angreifbar zu machen. Bonnie und Clyde ist es nämlich wohl doch nicht geworden, auch wenn die leicht durchgedreht wirkende Meinhof-Tochter Bettina Röhl das offenbar so sieht. Also vielleicht, wenn´s mit der Dramaturgie so einigermaßen hinhaut, ist DER BAADER-MEINHOF-KOMPLEX ein für deutsche Verhältnisse beachtlicher Gangsterfilm geworden. Das wäre doch schon was. Zum Beispiel der beste Film aus dem Hause Eichinger.

So sieht der aktuelle Titel des Blattes aus, für das seinerzeit Ulrike Meinhof schrieb:

Drinnen Marit Hofmann: "Als trüge die Wahl der Schauspieler nicht schon genug zum Untergang der RAF bei, hechelt Edel im 140minütigen Gewaltmarsch durch die Austsche Geschichte." Und: "Keine Einstellung, die nicht vorhersehbar wäre oder einem aus all den Fernsehtodesspielen bekannt vorkäme, stattdessen hausbackene Action mit gewaltgeilen RAF-Rambos." Herausgeber Gremliza äußert sich leider nicht zum Film, dafür gibt es aber hier seinen äußerst lesenswerten Text zum Aust-Buch von 1986.



Jetzt auch in der Kinoprovinz:



RÜCKKEHR IN DIE NORMANDIE, ein Dokumentarfilm von Nicolas Philibert, der auch SEIN UND HABEN gedreht hat, die Dokumentation über eine französiche Zwergschule von 2003. Philbert besucht hier den Ort, an dem vor 32 Jahren ein anderer Film, nämlich ICH PIERRE RIVIERE, DER ICH MEINE MUTTER, MEINE SCHWESTER UND MEINEN BRUDER GETÖTET HABE entstand. Philibert selbst war damals Regieassistent und nähert sich ganz vorsichtig den Laiendarstellern von damals. Scheint ein ungewöhnlich aufrichtiger und sehr geschickt montierter Film zu sein, der begeistern kann, wenn man sich denn auf ihn einlässt. Bei der Viennale war er letztes Jahr zusammen mit ICH PIERRE RIVIERE zu sehen. Das "sollte im regulären Kinobetrieb Schule machen. Ein aufregenderes Double Feature ist schwer denkbar", schrieb Claus Philipp im Standard. Das Metropolis kommt der Forderung erfreulicherweise nach. Am Freitag laufen beide Filme hintereinander, getrennt sind sie an weiteren Terminen diese Woche zu sehen.




Wöchentliche Provinzialitätsmessung:

Diese Woche starten anderswo außerdem DAY NIGHT DAY NIGHT, die kühle Beobachtung eines Selbstmordattentats, die Dokumentation über die "Berliner Beatboxszene" LOVE, PEACE & BEATBOX, ein israelischer Film, TRENNUNG, in dem Geld und darum auch Schauspieler aus Frankreich, Deutschland und Italien stecken, darunter Jeanne Moreau und Juliette Binoche und eine weitere Doku aus dem deutschen Osten, KINDER, WIE DIE ZEIT VERGEHT. Bei uns laufen also 33 % der neuen Filme an. Ein neuer Provinzialitätsrekord. In Berlin laufen sie, wie immer, alle.



Weiterhin:



TROPIC THUNDER läuft in den Multiplexen und im Streits OF. Inklusive Ausschnitten aus SIMPLE JACK.

GOMORRHA im Zeise, Abaton, Holi und im UCI Mundsburg.

CHIKO immer noch spät im UCI Wandsbek.

COUSCOUS MIT FISCH im Passage und im Elbe.

DR. ALEMAN im Alabama.

TAGE DES ZORNS noch ein paarmal im Abaton und im Magazin.





Und wer ETERNAL SUNSHINE OF THE SPOTLESS MIND (OmU) noch nie gesehen hat, bekommt eine letzte Chance, das am Samstag im B-Movie nachzuholen.



Dies und das:



Das Filmfest startet am Donnerstag und läuft genau eine Woche. Das Programm besteht wieder aus allem Möglichen, was man noch abkriegen konnte, ein paar Entdeckungen werden sich sicher machen lassen, nur ist die reine Teilnahme eines Filmes weniger ein Qualitätsbeweis denn je, so habe ich den Eindruck. Die Sektionen haben immer noch seltsame Bezeichnungen, "Nordlichter" (aus Hamburg und Schlewig-Holstein), "Voilà" (aus Frankreich, Belgien und Kanada), "Vitrina" (aus dem spanischen und portugiesischen Sprachraum) "Portugal Deluxe" (noch mehr aus Portugal) "TV-Spielfilme im Kino" (wozu das denn, bitte?), "Eurovisuell" (europäische "Blockbuster") und "Agenda 08" (der Rest, den man nicht auch noch aufteilen kann). Macht nicht viel Spaß, in einem solchen Programm zu stöbern. Immerhin habe ich entdeckt, dass Bill Plympton, der unglaublich produktive und außergewöhnliche Ein-Mann- Animationsfilmer wieder dabei ist: Diesmal ganz ohne Sex und Gewalt, mit IDIOTS AND ANGELS. Auch der neue Atom-Egoyan-Film wird gezeigt, ADORATION. Frühere Filme von ihm, außerhalb des Filmfest-Rahmens, laufen übrigens passenderweise am Mittwoch und in der nächsten Woche im Metropolis.
Für Hinweise auf weitere Perlen im Filmfestprogramm bin ich dankbar.



Filme, die wir zum Glück nicht gesehen haben, Folge 27:

Den ENGLISCHEN PATIENT habe ich gesehen, leider, ich Idiot, darum taucht er in dieser Rubrik nicht auf. Das Horrorpaar Binoche/Fiennes spielte erneut zusammen in dieser Brontë-Neuverfilmung, die auf deutsch nicht etwa "Sturmhöhe" heißt, ach was, STÜRMISCHE LEIDENSCHAFTEN ist der Titel. Ich kriege Gänsehaut, im Ernst. Zum Ausgleich eine exaltierte Kate Bush:




Umsonst und zuhause:




Am Freitag zeigt Pro 7 um 20.15 Uhr HELLBOY, die durchgeknallte Comicverfilmung von Guillermo del Toro. Nazis, Rasputin, das FBI und mittendrin der unglaubliche Ron Perlman. Del Toro arbeitet zur Zeit an einer Neuverfilmung von Hexen hexen, dem Roald-Dahl-Buch, das bereits von Nicholas Roeg sehr hübsch verfilmt wurde. Man kann gespannt sein, wie das aussieht, wenn der höchst einfallsreiche Bilderproduzent sich an einen kindertauglichen Stoff wagt. ShowView 2.988.256




THE CORPSE BRIDE ist ein Stop-Motion-Trickfilm von Tim Burton, von 2005. Die Geschichte eines Mannes, der unfreiwillig eine lebende Leiche heiratet. Der Puppenfilm ist ein Medium, das wunderbar zu den skurillen düster-komischen Bildwelten Burtons passt. Schön, dass er ab und zu seinen Wurzeln zurückkehrt: Einer seiner frühen Filme war VINCENT, von 1982, ein kurzer Puppenfilm für Disney. Hier ist er. THE CORPSE BRIDE läuft auf Tele5 am Samstag um 20.15 Uhr. ShowView 595.089




Wieder mal ein Film über Kinderrettungsmaßnahmen: Diesmal nicht mit klassischer Musik oder Tanz, sondern mit Thaiboxen. BUDDHAS VERLORENE KINDER ist eine Dokumentation über einen Mönch, der sich in einer armen Gegend Thailands um Waisen kümmert. Soll beeindruckend gefilmt sein und ist hoffentlich nicht allzu erbaulich. Auf arte am Samstag um 21.00 Uhr. ShowView 3.281.553



Mitten in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch versendet das Erste um 02.45 Uhr einen vergessenen Klassiker: GETRENNT VON TISCH UND BETT ist ein intensives Kammerspiel mit einem überragenden David Niven. Und mit Burt Lancaster. Und Rita Hayworth. Und Rod Taylor. ShowView 9.833.178




Am Mittwoch läuft im Ersten um 20.15 Uhr Andreas Dresens bislang größter Erfolg, SOMMER VORM BALKON. Falls es noch jemanden gibt, der den Film wirklich noch nicht kennt. Der Drehbuchautor der unglamourösen und komischen Prenzlauer-Berg-Tragödie ist der alte Defa-Kohlhaase, der die Bücher einiger der besten deutschen Filme schrieb. ShowView 17.420




Und wie immer gibt es außerdem noch viele weitere sehenswerte Filme, diese Woche beispielsweise wieder den ersten Freddy-Krueger-Film NIGHTMARE - MÖRDERISCHE TRÄUME auf Tele5 oder DER ZUG von John Frankenheimer im WDR oder OCEAN´S ELEVEN auf RTL oder Carpenters ASSAULT - ANSCHLAG BEI NACHT, auch auf Tele5. Wer suchet, der findet.



Kinos, Folge 44: Das Arsenal in Berlin-Tiergarten

Das Kino der "Freunde der Deutschen Kinemathek", Keimzelle des Forums der Berlinale, heutzutage gut versteckt im Keller des Filmhauses am Potsdamer Platz. Eine der allerersten nicht kommerziellen Spielstätten, ursprünglich in einem kleinen engen Vorführraum in Schöneberg in der Welserstraße beheimatet. Von da stammt auch noch die alte Anzeigentafel, ein nostalgisches Überbleibsel ohne jede Funktion: Zu sehen kriegt man sie erst, wenn man im Tiefgeschoss schon um die richtige Ecke gebogen ist und direkt vor dem Eingang steht. An den beiden neuen Sälen ist technisch natürlich nichts auszusetzen, aber das Ganze ist so seelenlos wie ein Multiplex. Ist von den Kellersälen des CineStar auch nur durch eine Glaswand getrennt.


Eine Googleabfrage, die letzte Woche jemanden auf diese Seiten führte: "definition semiautobiographie".

2 Kommentare:

  1. Hier ein "Wuthering Heights"-Video mit einer noch exaltierteren Kate Bush: http://www.youtube.com/watch?v=MfsnWtF_mko
    Die Hollywood-Version des Filmstoffs, die wir mal im Videoclub gesehen haben, ist übrigens recht gut.

    AntwortenLöschen
  2. Zustimmung, fanden wir damals alle ganz gelunge.
    Mein Filmfest-Tipp: SA 22:15 FEAR ME NOT, ein dänischer Film mit Ulrich Thomson in der Hautrolle (wie schon in "Das Fest"). Regie führte Kristian Levring, das ist einer der 4 Dogme-Brüder. "The king is alive", der 2. oder 3. in der Dogma-Reihe, kam meines Wissens aber bei uns nie ins Kino, obwohl J.J.Leigh mitspielt (aber wer weiß, vielleicht auch genau deshalb ...). FEAR ME NOT läuft wieder am DO 17.15 Uhr. Allen schöne Filmfesttage im sonnigen HH.

    AntwortenLöschen