Witze in Vietnam und Trash im Doppelprogramm

Woche 38/2008



Vietnam 1969. Ein Kriegsfilm, der bis dato teuerste aller Zeiten, wird direkt vor Ort gedreht. In den Hauptrollen: Ein abgehalfterter Actionstar, ein Komiker und ein Charaktermime, der seine Rolle als schwarzer GI so ernst nimmt, dass er die Michael-Jackson-Behandlung über sich ergehen ließ, nur andersherum. Natürlich gerät das Team in echtes Kriegsgeschehen. TROPIC THUNDER ist eine Parodie auf Hollywood und seine Stars, auf Method Acting und vor allem auf Kriegsfilme, die bei aller Selbstgefälligkeit erstaunlich komisch sein soll, auch wenn man nicht jede Anspielung mitkriegt. Und in der Tradition der größten Filmkomiker von Chaplin bis Allen hat Ben Stiller wie schon bei ZOOLANDER die volle Kontrolle gehabt: Als Produzent, Regisseur, Autor und Hauptdarsteller in Personalunion. Das Tomatometer zeigt 83% an, bei imdb steht der Film bei 7,8 Punkten, es sieht alles danach aus, als wenn das, trotz der eher mauen Reaktionen bei uns, ein wirklich komischer Film geworden ist. Ein rares Gut also. TROPIC THUNDER läuft in den Multiplexen und im Streits OF.

Eine sehr hübsche Marketingidee sind übrigens die Websites der fiktiven Stars Tugg Speedman, Jeff Portnoy und Kirk Lazarus. Auch angebliche weitere Filme Speedmans haben eine Webpräsenz: "Scorcher VI" und "Simple Jack". Hatte, muss man bei letzterem sagen, die Seite wurde nach Protesten von Behindertenverbänden entfernt. Aber zum Glück gibt es ja noch die entsprechenden "Filmausschnitte" in TROPIC THUNDER.




Endlich ist auch in Hamburg eine der wenigen Kopien von GRINDHOUSE angekommen, dem Doppelfeature, wie es in den USA (recht erfolglos) gelaufen ist, aus Tarantinos DEATH PROOF und Rodriguez´ PLANET TERROR, inklusive aller Fake-Trailer, die wir bislang nur aus youtube kannten. Besonders für alle interessant, die das trashige Rodriguezmassaker bislang verpasst hatten. Und DEATH PROOF gibt es in einer gestrafften Fassung, bei wiederholtem Gucken vielleicht sogar ein Vorteil. Läuft um 22.00 Uhr im 3001, wahrscheinlich nur eine Woche lang.



Außerdem neu:




Eine Komödie aus Norwegen über einen Behinderten in einer betreuten Behindertengruppe, der mit seinem bissigen und natürlich unkorrekten Humor seiner Umwelt das Leben schwer macht. Soll ganz amüsant sein, formal aber eher bieder daherkommen. Eher abstoßend wirkt ja der Altrockerlook des Progagonisten, der Johnny-Cash-Hörer sein soll. Schön dagegen der Titel: DIE KUNST DES NEGATIVEN DENKENS. Läuft im 3001.




Und: Eine nostalgische Rekonstruktion des alltäglichen Miefs der späten 60er in Deutschland, fern von Beat und Studenten, eine Geschichte über eine Familie, die 1961 noch rübergemacht hat und sich im Westen zurechtfinden muss. Harmlos, aber wahrscheinlich gar nicht übel, die Regisseurin hat vorher den passablen URLAUB VOM LEBEN gemacht. In FRIEDLICHE ZEITEN spielen auch wieder Meret Becker und Gustav-Peter Wöhler mit. Die Vorlage stammt von Birgit Vanderbeke. Um eine Chance zu haben, müsste der Film im Passage oder im Holi starten. Läuft aber im UCI Othmarschen, ich schätze mal genau eine Woche lang.




Und: Ein neuer Film von David Mamet, der eine etwas wirre Geschichte um irgendwelche Machenschaften bei Mixed-Martial-Arts-Wettkämpfen erzählt. Ist sicherlich besser als man bei dem Thema erwarten würde, wenigstens die Dialoge dürften sich auf gewohntem Niveau befinden. Aber ein Minimalinteresse an Sportarten wie Brazilian Jiu-Jitsu muss man wohl schon mitbringen. REDBELT läuft obskurerweise nur an 2 Tagen nachmittags in der Originalfassung im Streits. Und in einem Kino, das soweit außerhalb liegt, dass es ich es für gewöhnlich unter den Tisch fallen lasse: In den Hansa-Filmstudios in Bergedorf.




Und: Ein billiger US-Actionfilm, der schwer nach 80ern aussieht und zuerst bei uns in Deutschland am Markt getestet wird: Ein Grund dafür könnte sein, dass der berüchtigte Uwe Boll den Film vertreibt. Ich habe keine Lust die Handlung zusammenzufassen, irgendwas mit Rache an bösen Drogendealern. THE 5TH COMMANDMENT - DU SOLLST NICHT TÖTEN läuft im UCI Wandsbek.




Und: Eine wohl etwas behäbige Dokumentation über den Fotografen und Naturfilmer Alfred Ehrhardt. Schon erstaunlich, was alles so ins Kino kommt. Titel: DIE NATUR VOR UNS. Läuft im 3001.




Noch abwegiger ist es freilich PAULA MODERSOHN-BECKER, EIN ATEMZUG im Kino zu zeigen. Es handelt sich um einen dieser Lehrfilme fürs Museum, sicherlich ein eher gelungenes Beispiel, doch trotzdem mehr Radio-Feature mit Bildern als Kinofilm. Es gibt natürlich auch wieder nur Beamervorführungen, keine Kopien. Läuft ein paarmal und nur zu seltsamen Zeiten im Abaton.




Nachträglich startet in der Kinoprovinz TASOGARE - LIEBESTOLL IM ABENDROT, die japanische Variante von WOLKE 9. Hier wie da gibt es explizite Sexszenen mit Protagonisten, die das Kino, wegen ihres Alters, sonst nicht bei geschlechtlichen Vergnügungen zeigt. Im Gegensatz zum Dresenfilm gibt es hier aber keinen Ehebruch, sondern das Aufflackern einer Jugendliebe. Die jeweiligen Partner sind schon tot, darum dürfte es, wegen des fehlenden moralischen Dilemmas, bei TASOGARE ein wenig heiterer zugehen. Es ist übrigens ein später Vertreter des Pinkfilms und darum typischerweise nur eine gute Stunde lang. Läuft am frühen Abend im 3001.



Wöchentliche Provinzialitätsmessung:

Diese Woche startet anderswo außerdem die schwule Zombiepornokomödie OTTO; OR, UP WITH DEAD PEOPLE und der deutsche Episodenfilm UNSCHULD über irgendwelche Leute in Berlin, nachts. Der OTTO-Film von Bruce La Bruce war allerdings und ausnahmsweise bereits in Hamburg zu sehen: Das Metropolis hatte ihn letzten Monat als Preview im Programm. Bei uns laufen also 78 % der neuen Filme an. In Berlin laufen sie, wie immer, alle.



Weiterhin:



GOMORRHA im Zeise, Abaton, Cinemaxx und im UCI Mundsburg.

SON OF RAMBOW nochmal am Montag und am Mittwoch im Magazin.

CHIKO wieder spät im UCI Wandsbek.

COUSCOUS MIT FISCH im Passage und im Koralle.

HAPPY-GO-LUCKY an einigen Tagen nachmittags im Elbe und im Fama.

DR. ALEMAN noch an einigen Tagen spät im UCI Mundsburg.

TAGE DES ZORNS im Abaton, im Elbe und im Fama.

ICH HABE DEN ENGLISCHEN KÖNIG BEDIENT nur noch nachmittags im Passage und im Magazin.



Und wer ETERNAL SUNSHINE OF THE SPOTLESS MIND (OmU) noch nie gesehen hat, kann das erneut am Donnerstag oder am Sonntag im B-Movie nachholen. Das war der erste Film, bei dem ich das Gefühl hatte, dass die Möglichkeiten des digitalen Compositing mal wirklich sinnvoll eingesetzt werden. Verspielt und sehr komisch.



Dies und das:



Nächste Woche startet die aktuelle große Eichinger-Produktion, noch schlimmer als beim letzten Mal wurde versucht, möglichst vorab Kritiken zu unterdrücken (dazu Julian Reischl hier und hier), stattdessen sollte die Hofberichterstattung von Spiegel, Schirrmacher und Bild wie seinerzeit beim UNTERGANG das Medienecho bestimmen.
Der Spiegel hat seinen Part bereits lange vorbildlich erledigt, wie Joachim Güntner in der NZZ (letzte zwei Absätze) leicht angewidert beschreibt, Bild hält sich bislang eher zurück, beim Führer flutschte das mehr, aber FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher hat sich letzten Sonntag genau wie beim UNTERGANG - "ein Meisterwerk" - in die Niederungen der Filmkritik begeben und den sonst so gepflegten Vorgarten des Feuilletons der Sonntagszeitung okkupiert, um dort sein Geschäft zu verrichten. Ich hoffe, dass die Verantwortlichen Claudius Seidl und Volker Weidermann nur macht- und tatenlos zuschauen konnten, ihm aber nicht noch weit das Tor aufgehalten haben. Und wieder heißt es zu Beginn, kann ja eigentlich nicht gut sein, mündet dann aber in Aussagen wie "sonderbar cool und modern", "heartbreaking" oder auch "ästhetisch gelingt ihm (dem Film), in die ausdifferenzierte Literaturgeschichte (!?) einen neuen Typus von Frauen einzuführen" oder "Eichinger und Stefan Aust sind die besten Drehbuchautoren". Der Film habe außerdem "womöglich die Kraft, die gesamte RAF-Rezeption auf eine neue Grundlage zu stellen". Da vergeht einem ja wirklich jede Lust, gespielter Geschichte à la Edel, Eichinger und Aust eine Chance zu geben. Und dabei ist der Film vielleicht gar nicht so schlecht...




Im Metropolis läuft eine kleine Reihe mit Filmen nach literarischen Vorlagen der Autorin Eileen Chang, unter anderem wird noch einmal Ang Lees opulentes Drama aus dem letzten Jahr, GEFAHR UND BEGIERDE, gezeigt, OmU.
Die bunte Reihe von Cinemascopefilmen wird außerdem fortgesetzt, diese Woche läuft unter anderem Greenaways DER KOCH, DER DIEB usw. und FÜR EIN PAAR DOLLAR MEHR.



Filme, die wir zum Glück nicht gesehen haben, Folge 26:

Einer der unzähligen Schrottfilme des Schweizers Erwin C. Dietrich. Mit Ingrid Steeger. Ein wenig nackte Haut und ein paar Ansichten europäischer Städte von sonstwoher, fertig ist der Film. Kaum zu glauben, für was 1971 so alles Eintritt bezahlt wurde.




Umsonst und zuhause:



In der Nacht von Samstag auf Sonntag zeigt das ZDF um 00.45 Uhr den sehr soverän inszenierten simenonesken Thriller THE DEEP END - TRÜGERISCHE STILLE mit einer fantastischen Tilda Swinton als Mutter, die leider viel zu weit geht, um ihren fast erwachsenen Sohn vor den Konsequenzen eines vermeintlichen Mordes zu beschützen. ShowView 6.388.082



DIE UNBARMHERZIGEN SCHWESTERN erzählt eine wahre und fast nicht glaubliche Geschichte über katholische Einrichtungen für "gefallene Mädchen" im Irland der 60er Jahre. Glücklicherweise nicht all zu sehr dramatisiert, ist bei dem harten Stoff auch gar nicht nötig gewesen, um viel Wirkung zu erzielen. Auf Tele5 am Sonntag um 20.15 Uhr. ShowView 2.514.537



Am Montag läuft im ZDF um 22.15 Uhr THE BUSINESS - SCHMUTZIGE GESCHÄFTE, ein britischer Gangsterfilm, der in den 80ern spielt und zum großen Teil an der Costa del Sol gedreht wurde. Sicher kein unverzichtbares Meisterwerk des Genres, aber wohl ganz solide. Hatte es nicht bei uns ins Kino geschafft. ShowView 9.782.990



Später in der Nacht von Montag auf Dienstag läuft im ZDF um 00.00 Uhr ein weiterer interessanter Film: SCHLÄFER von Benjamin Heisenberg. Lief in Cannes, ging bei uns im Kino aber fast unbemerkt unter. Ein klug komponierter Thriller der langsamen Art über Terrorverdacht, Verrat und Liebe. Wohl einer der besseren Filme aus der "Berliner Schule". ShowView 6.855.897



Am Dienstag läuft dann die Doku DER GROSSE AUSVERKAUF, es geht um die Privatisierung von staatlichen Betrieben weltweit und um die Folgen. Sicher nicht objektiv, aber sehr anschaulich. Wäre schön, wenn danach noch eine aktuelle Sendung folgen würde, die sich mit den jüngsten Verstaatlichungen in den USA und den Reaktionen darauf beschäftigen würde. Auf arte, um 23.05 Uhr. ShowView 2.158.859




Und wie immer gibt es außerdem noch viele weitere sehenswerte Filme, diese Woche beispielsweise jede Menge mit Romy Schneider, die am Dienstag 70 werden würde: Devilles DAS WILDE SCHAF, Sautets DIE DINGE DES LEBENS, CÉSAR UND ROSALIE und EINE EINFACHE GESCHICHTE, Chabrols DIE UNSCHULDIGEN MIT DEN SCHMUTZIGEN HÄNDEN und den weniger bekannten Kriegs- und Liebesfilm LE TRAIN. Auf 3Sat, im BR, auf Tele5 und im RBB. Wer suchet, der findet.



Kinos, Folge 44: Das Cinema Paris in Berlin-Charlottenburg

Eines der letzten beiden Kinos am Kurfürstendamm, der einstigen Kinomeile Berlins. ("Kudammkinos" war in den 80ern noch ein Synonym für "Erstaufführungstheater") Die 50er-Jahre-Ausstattung ist komplett erhalten, leider bedeutet das auch, dass man mit einer sehr kleinen Leinwand vorlieb nehmen muss. Zur Aufführung kommen hauptsächlich Filme aus Frankreich, häufig auch OmU. Die Existenz ist hoffentlich noch eine Weile gesichert, jedenfalls dürfte der wirtschaftliche Druck geringer sein, als bei anderen Häusern in dieser Lage: Die Immobilie, das "Maison de France", gehört der Französischen Republik.


Eine Googleabfrage, die letzte Woche jemanden auf diese Seiten führte: "Deutsche in aller Welt".

2 Kommentare:

  1. Das mit Ethan Coen bei Tropic Thunder ist ein beliebtes Missverständnis. Es handelt sich um Etan Cohen (man beachte das verrutschte H), der v.a. im Comedy-Bereich als Autor aktiv ist.

    Was "Die Stewardessen" angeht: Die Tagline hat was!

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  2. Danke für den Hinweis!
    Und zu den Stewardessen: Das Plakat ist wahrscheinlich, inklusive Tagline, sowieso das Beste am ganzen Film.

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