Splatter in der Steiermark

"Ich glaube, dieses Jahr kenne ich zum ersten Mal keinen einzigen. Ich hätte ja was im Fernsehen verpassen können, während ich im Kino sitze."

Michael Reufsteck über die nominierten Filme bei der letztjährigen Oscarverleihung, im Fernsehlexikon. Bloggt dieses Jahr nicht wieder live, aber dafür bleibt Anke Gröner wieder wach mit Rechner auf dem Schoß und posted ihre Kommentare am Montagmorgen.


Woche 8/2009 (19.2. - 25.2.)


Die Neustarts:




Jetzt ist er endlich da, DER KNOCHENMANN, Teil drei der Serie um den Privatdetektiv Brenner, nach Wolf Haas, der zusammen mit dem grandiosen Hauptdarsteller Josef Hader und dem Regisseur Wolfgang Murnberger auch das Drehbuch verfasst hat. Sklavisch an die Vorlage wird sich dabei nicht gehalten, und um mir keinen Spaß zu verderben, verzichte ich darauf, irgendwelche Plotzusammenfassungen zu lesen. Wer mehr zur Handlung wissen will, bitte schön. Nach allem, was man hört, soll der neueste Streich seine Vorgänger in allen Belangen noch übertreffen und sich am ehesten mit den bösartig-komischen frühen Gebrüder-Coen-Filmen vergleichen lassen. Als Darsteller konnten Schwergewichte wie Josef Bierbichler und die gerade mit einem Darsteller-Bären ausgezeichnete Birgit Minichmayr gewonnen werden. Mir sind bislang ausschließlich begeisterte Kritiken vor Augen gekommen und selbst einigen internationalen Schreibern ist der im Panorama versteckte Film während der Berlinale aufgefallen: "Endlessly entertaining", meint etwa Andrew Grant (Like Anna Karina's Sweater) auf GreenCine Daily. Und: "Eine brilliant gespielte wie inszenierte Über-Schwarze Komödie cum Thriller, die in einem schläfrigen österreichischem Dorf spielt. Oh ja, und eine Romanze ist es auch noch. Wusste jemand, dass in Österreich solche Filme gemacht werden?"
DER KNOCHENMANN läuft im Zeise und im Abaton. Und anderswo. In den Multiplexen aber nicht: "In Deutschland kommen wir auf Programmkinoniveau. Es ist halt ein österreichischer Film, für Kölner ist das wie ein Film aus Bosnien," wie Josef Hader mir im Interview sagte, auf das bei dieser Gelegenheit noch einmal hingewiesen sei, falls noch jemand Interesse hat. Erschienen bei Nichterschienen.
Die tollen sechs Brenner-Romane von Wolf Haas gibt es übrigens zur Zeit alle zusammen in einer Kassette.




Außerdem neu:



Paul Schrader, legendärer Regisseur und vor allem Drehbuchautor (TAXI DRIVER, THE YAKUZA) hat einen seltsamen Film über die deutsche Judenvernichtung gemacht, den die meisten Kritiker in den USA ganz unerträglich finden. Das Tomatometer kommt gerade auf 34%, doch fängt man an, die schlechten Kritiken zu lesen, stößt man auf Aussagen, die man in Verrissen sonst nicht findet. Der Film sei zwar schlecht, aber unvergesslich und eindrucksvoll; er sei ein Affront gegen das Mainstreampublikum, könne aber durchaus Kultstatus erlangen; man erkenne Ansätze zur Großartigkeit, und Jeff Goldblums darstellerische Leistung in der Hauptrolle wird fast durchweg anerkannt. Er spielt einen jüdischen Zirkusartisten, der dank seines Könnens das KZ überlebt, indem er dem Lagerkommandanten den Hund macht. Gequält von Schuldgefühlen eines Überlebenden, landet er nach der Befreiung in einer psychiatrischen Anstalt in Israel, wo er auf einen anderen Patienten trifft, der sich wiederum für einen Hund hält. Der Film springt munter durch die Zeitebenen und bewegt sich irgendwo zwischen EINER FLOG ÜBER'S KUCKUCKSNEST und SCHINDLER'S LISTE, eine Mischung, die für viele offenbar unerträglich ist.
Die Vorlage von Yoram Kaniuk von 1969 wurde viel gepriesen und der Stil als "magischer Realismus" beschrieben. Dieser zauberhafte und teils auch clowneske Ton geht Schraders Film wohl ziemlich ab, was den Freunden des Buches missfällt, vielleicht dem Stoff aber richtig gut tut. Was man vom Pathos der bombastischen Chor- und Orchestermusik von Gabriel Yared vermutlich nicht sagen kann.
Selten bin ich so unsicher bei der Einschätzung, ob mir ein Film gefallen wird; allein deshalb freue ich mich ich mich schon drauf, EIN LEBEN FÜR EIN LEBEN - ADAM RESURRECTED zu sehen. Überraschenderweise auch dabei: Joachim Król, Moritz Bleibtreu und, äh, Veronica Ferres. Bei uns läuft er im 3001 und hier andernorts.

Und die Kinos anderswo.




Harvey Milk war der erste amerikanische Lokalpolitiker, der sich offen zu seinem Schwulsein bekannte und nach gerade mal elf Monaten im Stadtrat von San Francisco erschossen wurde. Das musste natürlich ein Biopic werden; in der Hauptrolle darf Sean Penn wieder einmal eine verblüffende Leistung hinlegen; Regie führte Gus van Sant. Diesmal ist die nachgestellte Dramatisierung besonders blödsinnig; es gibt die sinnvollere Verarbeitung des Stoffes in einem Dokumentarfilm nämlich schon, und der soll auch noch ausgezeichnet sein, wie auch Gus van Sant im Gespräch mit der FAS meint: "Ich kannte die Geschichte von Harvey aus dem Dokumentarfilm THE TIMES OF HARVEY MILK von Robert Epstein aus dem Jahr 1984. (...) Als ich die Dokumentation damals sah, hatte ich keineswegs den Impuls, zu sagen, das ergäbe doch einen tollen Stoff für ein Drama. Denn der Film war so gut, dass er natürlich jedem Nachfolgeprojekt überlegen wäre." Den Film MILK hat er trotz dieser Erkenntnis gemacht und diese künstlerische Bankrotterklärung wurde bislang schon mit acht Oscarnominierungen belohnt. Aber ganz egal, welche Auszeichnungen er am Sonntag erhält, angucken müssen wir uns das nicht, vor allem weil die bessere Alternative, nämlich THE TIMES OF HARVEY MILK, auch diese Woche noch einmal in die Kinos kommt. Allerdings nicht bei uns in der Kinoprovinz. Nur hier überall. Das Biopic MILK läuft im Abaton OmU, im Cinemaxx DF und im Streits OF. Drei Kinos, drei Fassungen, so sollte es immer sein. Hier die Kinos andernorts.




Hexe Lilli ist eine doofe Kinderbuchfigur, die schon in allen medialen Formen bis hin zur Billigtrickfernsehserie ausgebeutet wurde; nur das Spielfilmformat hat noch gefehlt. Die Realfilmadaption scheint wie schon die Bibi-Blocksberg-Filme die öden und kreuzbraven in Serie produzierten Vorlagen zu übertreffen. Regie führte immerhin Stefan Ruzowitzky (DIE FÄLSCHER), und der computeranimierte Drache an der lieben Hexe Seite sieht schon ein wenig besser aus als das furchtbare CGI-Urmel oder das Hunde-Krokodil aus dem Hotzenplotz-Remake; überhaupt hat die Aussicht auf einen nicht nur auf Deutschland beschränkten Erfolg offensichtlich das Budgetsäckel ordentlich gefüllt. "Insgesamt ist das alles hübsch, nett und routiniert, d.h. angemessen ernsthaft professionell, was früher für Kindersujets nicht selbstverständlich war, aber bei allem Aktionismus irgendwie auch seltsam leblos, ja sogar aseptisch," zieht Hans-Peter Koll im filmdienst sein Fazit. HEXE LILLI – DER DRACHE UND DAS MAGISCHE BUCH läuft in allen Multiplexen. Hier die Kinos anderswo.




Die übliche lieblos zusammengehauene Jim-Carrey-Klamotte der Saison heißt DER JA-SAGER und läuft bei uns in sämtlichen Multiplexen. und hier andernorts. Die Eels im Soundtrack können's auch nicht rausreißen. Ein Jammer, dass der Mann sich immer weiter mit solchen mittelmäßigen Komödien zufrieden gibt. Seit ETERNAL SUNSHINE ON A SPOTLESS MIND und dem MONDMANN wissen wir, zu was er alles fähig ist.




Liam Neeson ist ein Ex-Agent und muss seine verwöhnte, fast erwachsene Tochter vor irgendwelchen bösen Menschenhändlern in Europa retten. Ein weiterer kühl kalkulierter französischer Actionreißer aus Luc Bessons TRANSPORTER-Schmiede. Jeff Bayer schreibt in der Scorecard Review: "Wollen Sie wissen, wie Sie diesen Film wirklich genießen können? Es wird hart sein, ist es aber vollkommen wert. Sie müssen die ersten 20 Minuten verpassen und es wäre auch ein gute Idee, 10 Minuten früher zu gehen." Übrig bleibt dann nur die solide Action. Der Originaltitel, ein französischer wohlgemerkt, lautet "Taken"; das wurde eingedeutscht zu 96 HOURS. Bei uns in fast allen Multiplexen. Und anderswo.




Nick und Nora heißt das ermittelnde und trinkende Paar aus Dashiell Hammetts "dünnem Mann". Die beiden scheinen mit den Protagonisten dieser Kitschkomödie von der Stange, die mit jeder Menge Indietracks im Soundtrack vergeblich versucht, sich etwas Hipness zu kaufen, überhaupt gar nichts zu tun zu haben. Ein Film über ein "tolles erstes Date" (Pressetext). Hoffentlich geht die angepeilte Zielgruppe den Machern nicht auf deren klebrigen Leim. NICK UND NORAH – DER SOUNDTRACK EINER NACHT läuft im Cinemaxx und im UCI Wandsbek. Und hier andernorts.



Wöchentliche Provinzialitätsmessung:


Anderswo startet diese Woche wie gesagt noch THE TIMES OF HARVEY MILK, außerdem eine Dokumentation über die Aufteilung und den Weiterverkauf einer Kommunalka in St. Petersburg: PERESTROIKA - UMBAU EINER WOHNUNG. Bei uns starten also wieder nur 78% der Filme; die gewohnte Provinzialität hat uns wieder, na da bin ich ja beruhigt. In Berlin sind, wie immer, sämtliche Filme zu sehen.



Weiterhin:



REVANCHE im 3001 und im Zeise. Und andernorts.

DIE KLASSE jetzt auch wieder abends im Magazin. Nachmittags im Blankeneser und vereinzelt mittags im Abaton. Hier alle Kinos andernorts.

JERICHOW im Blankeneser und am Montag für die nicht gerade häufig mit guter Filmkost verwöhnten Bewohner südlich der Elbe im Cinemaxx Harburg. Und hier andernorts.

VICKY CRISTINA BARCELONA noch immer im Zeise und im Passage. Und hier ansonsten.

BOLT nur noch nachmittags in sämtlichen Multiplexen und hier andernorts.

DER FREMDE SOHN im UCI Mundsburg, außerdem nachmittags im Blankeneser und nur noch mittags im Cinemaxx. Und hier andernorts.

WALTZ WITH BASHIR wieder im Alabama und zweimal mittags im Abaton. Und hier auch noch.

Nicht mehr bei uns, aber noch anderswo zu sehen: LULU UND JIMI (Kinos), ALTER UND SCHÖNHEIT (Kinos), IT´S A FREE WORLD (Kinos), O´HORTEN (Kinos), SO FINSTER DIE NACHT (Kinos) und DIE PERLMUTTERFARBE (Kinos).


Außer der Reihe:



Im Metropolis: Zwei psychedelische Wunderwerke sind erfreulicherweise auf der Riesenleinwand zu sehen: EL TOPO von Alejandro Jodorowsky (prätentiös, spektakulär, bescheuert und unbedingt sehenswert) und ZABRISKIE POINT von Michelangelo Antonioni. Über Letzteren stand 1986 auf der Fernsehseite des Spiegel: "Bei Ansicht des modischen, penetrant bedeutungssüchtigen Films von Michelangelo Antonioni wird spürbar, wie ranzig der Zeitgeist der späten 60er Jahre schon geworden ist. Antonioni trägt kritisches Bewußtsein wie ein Tüchlein von Armani". Ist natürlich richtig, sieht aber verdammt gut aus. Ich freu' mich auf die Explosion in der Schlusssequenz zu Pink Floyds "Come In Number 51, Your Time Is Up". Das EL-TOPO-Plakat oben ist übrigens keinswegs ein Original von 1970, sondern wurde vom Grafiker Jerzy Skakun anlässlich der polnischen Wiederaufführung im letzten Jahr entworfen.

In der Reihe "Zweite Heimat" läuft unter anderem der von mir hier ausgiebig abgefeierte CHICO. Özgür Yildirim, der Regisseur, wird anwesend sein. Weiter geht's auch mit der Romy-Schneider-Retrospektive, mit David Lynch und dem "Black History Month 2009". Außerdem noch einmal Hayao Miyazakis Zeichentrickmeisterwerk PRINZESSIN MONONOKE seltsamerweise im Kinderprogramm (FSK 12, Altersempfehlung des Filmlexikon: ab 14).



Dies und das:


Die Berlinale ist schon längst wieder vorbei; wer sich noch einen Überblick über die abschließenden Texte verschaffen will, findet viele brauchbare Links bei angelaufen.de und bei David Hudsons "The Daily" inklusive einem "Rounding up auf Deutsch".

Schade, dass so viel Platz bei der Berichterstattung auf allen Kanälen für die mittelmäßigen und gut gemeinten Wettbewerbsfilme draufgingen, während interessante Filme in versteckteren Ecken des gigantischen Gesamtprogramms es sehr schwer hatten, Aufmerksamkeit zu wecken. Ein Film, den ich selber beispielsweise auf keinen Fall ausgelassen hätte, wäre der erste in Stop-Motion-Technik realisierte Langfilm MARY AND MAX des grandiosen Australiers Adam Elliott gewesen. Der ging in der bescheuert betitelten Sektion "Generation" völlig unter; ich habe nicht eine einzige Kritik entdeckt. Hier Adam Elliotts früher Kurzfilm COUSIN, um einen Eindruck zu vermitteln, was der Mann macht:


Und hier der Trailer von MARY AND MAX. Bislang wurde noch kein deutscher Verleiher dafür gewonnen. Seufz.




Die schönste Panne bei der Berlinaleberichterstattung ist übrigens dem Tagesspiegel unterlaufen: Michelle Pfeiffer wurde auf der Pressekonferenz gefragt, wie sie es schaffe, so jung auszusehen. Sie erzählte das Übliche: "early to bed" und "good genes", wie mir meine Berliner Gewährsfrau schrieb.
In der Zeitung war dann zu lesen: "Sie lebe gesund, treibe ein bisschen Sport, rauche seit ihrem 30. Jahr nicht mehr, genieße das Leben – und trage gut geschnittene Jeans."



Karen Duve auf meine Frage nach ihrem Lieblingsfilm:

"DEAD MAN. von Jim Jarmusch"

In Jarmuschs Film von 1995 reist Johnny Depp in einem Westernsetting wie in einem Traum seinem eigenen Ende entgegen. Erzählt wird das in wunderschön komponierten Schwarz-Weiß-Bildern von Robby Müller (den ich zu gern mal nach seiner Meinung zu dem aktuellen Wim-Wenders-Schrott fragen würde), Neil Young pluckert ein paar schräge Akkorde dazu und zu den seltsamen Gestalten, die ihm über den Weg laufen, gehören Iggy Pop, John Hurt und
Billy Bob Thornton.
Der Name der Hauptfigur ist William Blake. Roger Ebert dazu: "Einigen meiner Leser wird der Name William Blake etwas sagen, und sie werden sich fragen, ob es irgendeine Verbindung zwischen der Figur und dem geheimnisvollen britischen Dichter gibt, der 1827 gestorben ist. Es gibt eine: Sie tragen denselben Namen."
Während ich die langsame Erzählweise und den lakonischen Ton sämtlicher anderer Jim-Jarmusch-Filme sehr mag, habe ich mich seinerzeit beim DEAD MAN ein kleines bisschen gelangweilt. Mir fehlte da schlicht die Komik. Aber Karen Duve steht mit ihrer Wertschätzung nicht allein: Bei imdb erreicht der Film die Durchschnittsnote 7,7.

Jarmuschs jüngster Film ist gerade fertig geworden. Es spielen wie bei BROKEN FLOWERS Tilda Swinton und Bill Murray mit; bei uns startet er im Juni. Hier ein paar erste Bilder und Informationen.



Karen Duve hat 1999 aus dem Nichts ihren großartigen "Regenroman" veröffentlicht und dafür viel verdienten Beifall bekommen. Im seriös verschnarchten deutschen Literaturbetrieb gab es auf einmal ein Buch, dessen Autorin keine Angst vor unterhaltender Genreliteratur hatte und die sehr feuchte und mit absurder Komik getränkte Thrillerhandlung so kunstvoll, lakonisch und trocken erzählte, dass Vergleiche zum amerikanischen Meister des Dialogs und der Perspektivwechsel, Elmore Leonard, gerechtfertigt waren. Immer noch das geeignetste Geschenk, das man Freunden machen kann, die sich ein Häuschen auf dem Lande zulegen.

Zwei Romane folgten, die ich beide nicht gelesen habe. Bei "Dies ist kein Liebeslied" schreckte mich das Cover ab, das schwer nach Frauenzeitschriftsthema aussah, und der übersetzte Songtitel von PIL als Titel lockte mich auch nicht gerade. War vermutlich ein Fehler, hebt das Buch doch äußerst vielversprechend an: "Eines Tages, genauer gesagt am Donnerstag, den 20. Juni 1996, beschloss ich, dass die Sache ein Ende haben müsste, ein schlimmes oder eines, das ich mir nicht vorstellen konnte. Und ich ging in ein Reisebüro und kaufte mir einen Flugschein nach London, wie sich andere Leute einen Strick kaufen."

2005 erschien dann "Die entführte Prinzessin", und da spielten für meinen Geschmack dann doch zu viele Fabelwesen und andere Märchenelemente eine Rolle.


Ihr jüngster Roman aus dem letzten Jahr heißt schlicht "Taxi" und schildert das trostlose Berufs- und Liebesleben einer jungen Taxifahrerin im Hamburg der Achtziger Jahre. Es gibt jede Menge Gemeinsamkeiten mit Karen Duves Biographie. Erst fürchtete ich, dass mir das bei durchgehend eingehaltener Erzählperspektive der Protagonistin, vielen Döntjes aus dem fahrenden Gewerbe und fast durchweg bescheuerten männlichen Figuren schnell langweilig werden würde, doch das Gegenteil war der Fall. Die Anekdoten sind locker gestreut und werden erfreulich nüchtern, pointenfrei und trotzdem komisch erzählt, und an den Schilderungen der widrigen Lebensumstände der antriebsschwachen Heldin nahm ich mehr und mehr Anteil.

Alle paar Seiten gibt es wunderbare Stellen wie: "Ich musste mir etwas einfallen lassen. Meine ehemaligen Mitschüler studierten schon seit anderthalb Jahren, und wenn ich nichts tat, würden sich meine Eltern wieder irgendeinen langsamen Tod in einem Büro für mich ausdenken."

Oder: "Ich war wie ein Orang-Utan, den ein geiziger Zoo aus Raummangel im Schimpansengehege hielt, wo ihn die Schimpansen zwangen, ein Schimpansenleben zu führen, und ihm gleichzeitig ständig vorhielten, dass er niemals etwas so Tolles wie ein Schimpanse sein würde."

Und: "Beim Anblick der aufgeweichten und überfrorenen, an billiges Toilettenpapier erinnernden Feuerwerksreste hatte ich schon wieder die Nase voll vom neuen Jahr."

Oder auch: "Ich bog in die Volksparkstraße ab, fuhr unter der A7 durch und durchstreifte das Industriegebiet rund um den Bahnhof Eidelstedt. Ich mochte diese Gegend, weil hier nachts keine Menschen herumliefen. Auf Natur legte ich nicht besonders viel Wert, Hauptsache, es gab keine Menschen."

Eine noch: "Ich ging noch einmal ins Badezimmer, schloss hinter mir ab und sah in den Spiegel. Ich war froh, dass ich so gut aussah. Die äußere Erscheinung war doch ein verlässlicherer Wert als so eine schwammige Angelegenheit wie Intelligenz."

Die letzte: "Martin war der Fotograf. (...) Ich sollte mich nackt mit einer Deutschlandfahne auf dem Boden wälzen und eine Windmaschine würde dafür sorgen, dass das nicht blöd aussah. Später würde dann noch die Berliner Mauer ins Bild retuschiert werden und dann würde das Ganze einen Sinn ergeben, der sich mir nur noch nicht erschloss."

Meine wärmste Empfehlung. Müsste zur Zeit in jeder Buchhandlung vorrätig sein.



Und ein Film, den wir glücklicherweise nicht gesehen haben:

Johnny Depp hat in vielen tollen Filmen mitgespielt, aber auch in einigen miserablen. In DIE FRAU DES ASTRONAUTEN macht er, der Astronaut, ihr, seiner Frau, Sorgen, weil er sich nach einer Reise ins All seltsam zu benehmen anfängt. Und dann wird sie auch noch schwanger. Ein offenbar völlig verunglücktes Science-Fiction-Psycho-Horror-Drama. "Ich habe Eintritt bezahlt um DIE FRAU DES ASTRONAUTEN zu sehen, damit Sie es nicht müssen. Die Leute bei New Line haben Pressevorführungen untersagt, als wenn ihr Verriss-O-Meter seismische Messergebnisse geliefert hätte, als wenn sie gewusst hätten, dass "Houston, wir haben hier ein Problem" der Einstieg jeder 08/15-Kritik sein würde. Und sie haben alle Recht: DIE FRAU DES ASTRONAUTEN stinkt von der Erde bis zum Mond", schrieb 1999 Wesley Morris im San Francisco Examiner.



Umsonst und zuhause


Ab sofort gibt's die Fernsehtipps auch häppchenweise, nämlich an den jeweiligen Ausstrahlungstagen in der extra dafür eingerichteten Fernsehprovinz. Hier bleibt alles wie gehabt.


Am Freitag:

Die einsame Katherine Hepburn darf eine Sommerromanze mit einem feurigen Italiener erleben. David Lean hielt dieses Melodram angeblich für seinen gelungensten Film und stand mit dieser Meinung wohl recht allein da. Für alle Venedigfreunde natürlich ein Muss. TRAUM MEINES LEBENS im ZDF um 00:30 Uhr, ShowView 5.390.353


Auch am Freitag:

Eine weniger bekannte Gaunerkomödie von Michel Deville (DAS WILDE SCHAF). Vielleicht liegt die geringe Bekanntheit nur daran, dass hier kein Michel Piccoli und keine Romy Schneider mitspielt, sondern Robert Lamoureux und Christine Dejoux? Vergessene Perle oder lahmes Nebenwerk? Ich bin gespannt. "Hintergründige Unterhaltung mit satirischen Seitenhieben", urteilt das Filmlexikon.
AUCH BETRÜGEN WILL GELERNT SEIN auf 3Sat um 04:30 Uhr, ShowView 1.885.773


Am Samstag:

CORPSE BRIDE ist ein Stop-Motion-Trickfilm von Tim Burton, von 2005. Die Geschichte eines Mannes, der unfreiwillig eine lebende Leiche heiratet. Der Puppenfilm ist ein Medium, das wunderbar zu den skurillen düster-komischen Bildwelten Burtons passt. Schön, dass er ab und zu zu seinen Wurzeln zurückkehrt: Einer seiner frühesten Filme war VINCENT, von 1982, ein kurzer Puppenfilm für Disney. Hier ist er. THE CORPSE BRIDE läuft auf Tele5 am Samstag um 20.15 Uhr. ShowView 5.428.228


Auch am Samstag:

Ein Art Country Noir aus Schweden: Polizist geht zurück in seine Heimat zu den Hinterwäldlern im Norden und nimmt es allein mit einer Gemeinschaft versoffenener Wilderer auf. Soll solide inszeniert sein, von 1996.
DIE JÄGER, im Ersten um 01:30 Uhr. ShowView 9.946.990


Auch am Samstag:

Humphrey Bogart ist ein kleiner Gangster, der Jagd auf deutsche Spione in Manhattan macht. Die Komödie mit B-Movie-Charme ist von 1941 und ensprechend voller Kriegspropaganda; Bogart soll großartig sein und Conradt Veidt wie Peter Lorre geben sicherlich prima Hollywood-Nazis ab. Die deutsche Synchronfassung wird wohl in Ordnung und frei von Verfälschungen sein; sie wurde erst 1989 fürs Fernsehen erstellt. Bogart hat die vertraute Stimme von Joachim Kemmer. Ungekürzt. AGENTEN DER NACHT, im Ersten um 03:20 Uhr, ShowView 3.205.342


Am Sonntag:

Zum ersten Mal umsonst im Fernsehen, leider auf Pro 7 mit 37 Minuten unerwünschter Werbung. Ein großes Melodram mit Cowboyhüten, in dem die Liebenden, Heath Ledger und Jake Gyllenhaal, mehr an den eigenen inneren Widerständen, als an der bösen, diskriminierenden Gesellschaft scheitern.
Ang Lees jüngster Film kommt im September in unsere Kinos: Eine Komödie um das Woodstock-Festival. Hhm.
BROKEBACK MOUNTAIN um 20:15 Uhr, ShowView 70.346.342
Hier die animierte Kurzfassung mit Häschen in den Hauptrollen:



Auch am Sonntag:

Ist HEAVEN noch ein guter oder schon ein doofer Film von Tom Tykwer? Das ernste Drama um Verbrechen und Liebe wartet bereits mit einem internationalen Star, Cate Blanchett, auf und stieß 2002 auf ein recht zwiespältiges Echo. Einig sind sich alle immer nur darin, dass der Mann was kann. Schade, dass sein persönlicher Tonfall bei diesen Big-Budget-Produktionen unter die Räder kommt. Auf Tele5 um 23:45 Uhr. ShowView 6.178.984


Auch am Sonntag:

In CARAMEL ist das Zentrum ein Friseur- und Schönheitssalon, es treten auf: Eine 50-Jährige , die von Casting zu Casting rennt, eine 24-jährige lesbische Friseurin, die Inhaberin, die einen verheirateten Mann liebt und zahlreiche weitere Kundinnen und Angestellte. Könnte ganz furchtbar sein, ist wahrscheinlich aber mindestens erträglich: Der Film hat "nichts mit den Frauenfilmen westlicher Prägung gemeinsam, die längst nicht so verspielt, sinnlich und bittersüß sind," schreibt Andrea Dittgen im Filmdienst. CARAMEL spielt in Beirut und ist eine französisch-libanesische Co-Produktion, die letztes Jahr bei uns in den Kinos lief. Um 00:45 Uhr im Ersten das erste Mal im Fernsehen. ShowView 3.994.656


Auch am Sonntag:

Ein Kriegsdrama von 1954 um Macht, Feigheit und Rache von Robert Aldrich mit einer Riege fabelhafter Schauspieler wie Jack Palance, Lee Marvin und Eddie Albert. Die Ardennen sehen recht kalifornisch aus, aber da gewöhnt man sich dran.
ARDENNEN 1944, im Vierten um 03:00 Uhr, ShowView 60.270.168


Am Montag:

Ein Klassiker von Arthur Penn, gedreht 1966. Pauline Kael schrieb: "Marlon Brando als Sheriff eines korrupten, blutrünstigen texanischen Kaffs in einem mythischen Amerika liberaler sadomasochistischer Fantasien. ... ein Höllenschlund, in dem Ehefrauen verpügelt, Neger und Negerfreunde gehasst werden, wo die Menschen angetrieben werden von schmutzigem Sex oder dem großen Geld und man weiß, was von beidem, sobald sie den Mund aufmachen." Das Drehbuch stammt von Lilian Hellman, neben Marlon Brando spielen auch noch Robert Redford, Jane Fonda, Angie Dickinson und Robert Duvall mit. EIN MANN WIRD GEJAGT im Vierten um 20:15 Uhr, ShowView 1.841.255


Am Mittwoch:

Schon um 09:30 Uhr zeigt Pro 7 obskurerweise diesen feinhumorigen Ensemblefilm das erste Mal im Fernsehen. Es ist die Fortsetzung von
L' AUBERGE ESPAGNOLE; fünf Jahre später lässt Cedric Klapisch (SO IST PARIS) die ehemaligen Studenten in St. Petersburg wieder aufeinandertreffen. Das Sequel soll mühelos mit dem Original mithalten können, dessen Kenntnis das Vergnügen sicherlich steigert. Jochen Schmidt in der taz: "Klapisch hat wieder seinen typischen elegisch-komischen Ton getroffen, er weiß einfach, wie Dialoge klingen. Die Schauspieler sind sichtlich begeistert dabei, es wurde viel improvisiert und erst anschließend am Schneidetisch Regie geführt. Außerdem hält Klapisch das Tempo hoch, mit am Comic geschulten Erzählmitteln." Mit Romain Duris und Audrey Tautou. L'AUBERGE ESPAGNOL - WIEDERSEHEN IN ST. PETERSBURG, ShowView 6.859.477



Wie immer gibt es außerdem noch viele weitere sehenswerte und wohl bekannte Filme im Programm, beispielsweise LEOPARDEN KÜSST MAN NICHT, HEXEN HEXEN, DER SCHWARZE HENGST, WEST SIDE STORY, DOKTOR SCHIWAGO, L. A. CRASH, MERCENARIO und THE OTHERS. Wer suchet, der findet.



Eine Googleabfrage, die letzte Woche einen Rottweiler auf diese Seiten führte: "alle Russen böse".


1 Kommentar:

  1. Wer Adam Elliott sagt, muss auch Harvie Krumpet sagen – wunderbarerweise mit sämtlichen wunderbaren 22 Minuten auf youtube:
    http://www.youtube.com/watch?v=ouyVS6HOFeo
    War 2004, glaub ich, im Hamburg auf dem Kurzfilmfestival zu sehen und wurde heißgeliebter Publikumsfavorit.

    Und: Ja, den Film, den wir nicht gesehen haben sollten – DIE FRAU DES ASTRONAUTEN – ich hab ihn gesehen. Bekam super Kritiken damals, ich mochte ihn nicht; ich danke daher sehr für die späte Zustimmung. Obwohl: das Ende (Mord durch Küchenbodenüberschwemmung, die meisten Unfälle passieren eben im Haushalt) hab ich nie vergessen – wer weiß, wofür diese Erinnerung noch mal gut sein wird.

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