Maßlose Opulenz und ein Führer für Perverse

"Wenn nachher dein Name draufsteht, musst Du die Verantwortung übernehmen. Darum kämpfe ich für Kontrolle. Wenn mein Name nicht draufsteht, scheiß drauf."


Terry Gilliam



Woche 11/2009 (12.3. - 18.3.)

Die Neustarts:




THE FALL ist keine Doku über die Band des meist übellaunigen Mark E. Smith, sondern ein einzigartiger Bilderreigen des Werbe- und Videoclip-Regisseurs Tarsem Singh (THE CELL), den dieser in vier langen Jahren in 28 Ländern produziert und selbst finanziert hat. Es scheint sich um ein visuell völlig überbordendes Spektakel zu handeln, das von manchen als prätentiös und aufgeblasen abgelehnt, von Roger Ebert aber zu den 20 besten Filmen des vergangenen Jahres gezählt wird: "Sie werden den Film sehen wollen, allein schon weil er existiert. So etwas wird es nicht noch einmal geben."
Der narrative Vorwand: Ein Stuntman liegt nach einem Unfall 1915 mit gelähmten Beinen in einem halb verlassenen Krankenhaus und denkt sich für ein kleines Mädchen eine märchenhafte Geschichte aus, das sich (und uns) diese mit phantastischen Bildern ausmalt. Und das sieht dann etwa so aus:

Angeblich wurden all die Effekte ohne jede Computeranimation realisiert. Das ist alles andere als kitschfrei und wahrer Bombast, und wer das nicht erträgt, sollte dem hübsch fernbleiben. Doch wer, wie ich, etwas übrig hat für die wahnwitzigen Welten von Alejandro Jodorowsky, Terry Gilliam oder Guillermo del Toro, dem wird auch diese üppige Bilderflut gefallen. Noch mal Ebert: "THE FALL ist so kühn, dass, wenn Variety ihn ein 'Projekt der Eitelkeit' nennt, man nur den Mann bewundern kann, der eitel genug ist, ihn zu machen". (imdb: 8,0)
Bei uns nur im UCI Wandsbek; da sollte man nicht noch eine Woche warten. Die Kinos anderswo hier.



Außerdem neu:



Ein Film aus Jordanien, der es nicht nur als erster Film aus dem Land geschafft hat, überhaupt anderswo gezeigt zu werden, sondern auch gleich auf mehreren Festivals ausgezeichnet wurde. Ein Hausmeister auf dem Flughafengelände macht Kindern in seiner Nachbarschaft weis, er sei Pilot und erzählt von seinen angeblichen abenteuerlichen Erlebnissen, bis ihm einer der Jungs draufkommt. Anschließend hilft er dann als herzensguter Onkel zweien der Kinder, die sehr reale Probleme haben. Wird überwiegend äußerst wohlwollend besprochen; wenn ich aber die Wörter "herzerwärmend", "poetisch" und "sanfmütiger Grunderzählton" in der hymnischen Besprechung Stefan Volks im filmdienst lese, der schließlich gar von der "Kraft und Reife eines Meisterwerks" schwärmt, dann wittere ich ganz üblen Erbauungskitsch und mache sicherheitshalber einen großen Bogen um CAPTAIN ABU RAED, der bei uns im Abaton und im Koralle läuft. Hier die Kinos anderswo.



Der nach wie vor schwer angesagte slowenische Philosoph, Psychoanalytiker und Selbstdarsteller Slavoj Žižek darf in einem Film von Sophie Fiennes (ja, tatsächlich die Schwester von Ralph und Joseph) sich mal nicht nur schriftlich mit dem Kino beschäftigen, sondern Filmschnipsel von PSYCHO bis zu MATRIX aus dem Off kommentieren. Zwischendurch wird er dann selbst in Szene gesetzt und zwar immer an Locations, die den Originaldrehorten berühmter Filmszenen möglichst nahe kommen: Also steuert er im Boot den Steg aus Hitchcocks DIE VÖGEL an oder steht mit dem Gartenschlauch im Vorgarten aus David Lynchs BLUE VELVET. Das ist eine so alberne Idee, dass zu befürchten steht, dass einem danach all die von Žižek entdeckten unzähligen Bedeutungsebenen der Filme etwas luftig vorkommen. Aber das macht nichts; vielleicht hat man dann erst recht Freude am Salbadern des Theorie-Clowns. THE PERVERT'S GUIDE TO CINEMA läuft im Abaton nur zweimal diese Woche, am Montagabend und am Mittwochnachmittag. Es gibt offenbar nur höchstens eine Handvoll Kopien, die vom Zweitausendeins Versand mal hier und mal dorthin geschickt werden. (Hoffentlich sind es überhaupt Kopien und nicht einfach nur die DVDs, die man eh schon kaufen kann)



Es ist ja die Frage, ob überhaupt irgendjemand Remakes braucht, von den Blake-Ewards-Komödien mit Peter Sellers als Inspektor Clouseau sollten sie aber ganz sicher die Finger lassen. Da aber künstlerisches Scheitern oft mit kommerziellem Erfolg belohnt wird, gibt es jetzt den ROSAROTEN PANTHER 2, wieder mit Steve Martin. "Zum Schlapplachen", meint die Zeitschrift Mädchen. DER ROSAROTE PANTHER 2 läuft bei uns und anderswo in sämtlichen Multiplexen.
Mich hat jedenfalls interessiert, wie der animierte Vorspann aussieht.

Das hier dagegen ist der erste eigenständige Cartoon, von 1964:



Im Herbst kommt die Verfilmung von Anna Maria Schenkels "Tannöd" in die Kinos; jetzt gibt's einen angestrengten Gruselfilm zu sehen, der auf demselben realen und unaufgeklärten Verbrechen beruht. Soll ungelenk inszeniert und von Benno Fürmann und Alexandra Maria Lara recht hölzern gespielt sein. Verlässlich ist es ja, das deutsche Kino. HINTER KAIFECK läuft im UCI Wandsbek und hier.




Heike Makatsch versucht möglichst genau so zu gucken, sich so zu bewegen und auch noch so zu singen wie die Knef und wird dafür entsprechend angezogen und angemalt. Ich würde ja verstehen, wenn man sowas in einer Fernsehshow machte, könnte sogar ganz unterhaltsam sein, drei Minuten lang, zwischen anderen Imitatoren, deren Leistungen meinetwegen auch noch von einer Jury beurteilt werden, aber wieso so ein Quatsch anderthalb Stunden lang im Kino gezeigt wird und auch noch viele das sehen wollen, ist mir ein großes Rätsel. Da schau ich mir lieber noch einmal den ganz erstaunlichen FILM OHNE TITEL mit Hildegard Knef von 1948 an.
HILDE läuft im Koralle, Cinemaxx, Cinemaxx Wandsbek, UCI Mundsburg und UCI Othmarschen. Hier die Kinos andernorts.




Eine Komödie mit den üblichen sentimentalen Beigaben über eine Frau, ihre Karriere und ihre unverhältnismäßigen Ausgaben. Ach ja, Liebesprobleme gibt's natürlich auch noch. Der Film übt einerseits verlogene Konsumkritik und ergibt sich andererseits dem hemmungslosen Konsumrausch. Scheint sich noch unter dem bei solcher "Sex-And-The-City"-Thematik üblichen Niveau zu bewegen: Das Tomatometer zeigt 22% an.
SHOPAHOLIC – DIE SCHNÄPPCHENJÄGERIN läuft in sämtlichen Multiplexen und hier anderswo. Wer das guckt, ist doof.




Depperter Horrorquark, der eine Variante der Geschichte vom EXORZISTEN erzählt, mit ein wenig jüdischem Zierrat und einem bösen Dämon, den ein teuflischer Josef Mengele in Auschwitz durch irgendwelche Experimente heraufbeschworen hat. Das Tomatometer zeigt 13% an und die imdb-Nutzer bewerten den Film mit der Durchschnittsnote 4,6. Schlimmer geht's fast nimmer. THE UNBORN läuft bei uns im Streits OF, in fast allen Multiplexen und hier auch überall.




ISSIZ ADAM ist ein pathetisches Mainstream-Drama aus der Türkei, über einen Mann, der nicht lieben kann. Im emotionalen, nicht sexuellen Sinn. Scheint mal kein Trash, aber mindestens abgeschmacktes Kunstgewerbe zu sein. Und das ist vielleicht noch schlimmer.
Im Cinemaxx Harburg, UCI Wandsbek und in diesen Städten.



Wöchentliche Provinzialitätsmessung:


Anderswo, aber nicht bei uns, startet außerdem diese Woche BACHING, eine deutsches Drama um ein überfahrenes Kind und die Folgen für den Schuldigen (Kinos), GARAGE, die Geschichte eines tumben Tankwarts in einem irischen Kaff , gleichzeitig Slapstick und Drama (Kinos), MUZIKA, ein Film über einen Mann in der Tschechoslowakei, der vom Saxophonspielen und vom Westen träumt (Kinos) und NUR EIN SOMMER, der von Käse und Liebe zwischen Eberswalde und einer Alm in den Schweizer Alpen erzählt (Kinos). In Berlin sind auch diese Filme, wie immer, alle zu sehen. Bei uns dagegen nur 67%.

Aber immerhin kann man ab sofort auch in Hamburg digitale 3D-Filme sehen: Alle UCI-Multiplexe sind jetzt mit entsprechender Technik ausgestattet. Nur ist das keineswegs eine Premiere, wie das Hamburger Abendblatt meldet; im Grindel ging das auch schon. Das wurde aber letztes Jahr abgerissen ...


Weiterhin:


DER KNOCHENMANN im Zeise und am Sonntagnachmittag im Abaton. Und anderswo. Verpasst ihn nicht. Ein Glücksfall.

THE WRESTLER läuft bei uns OmU im 3001 und im Abaton, synchronisiert im Cinemaxx nur noch nachmittags und spät im UCI Othmarschen. Hier die Kinos andernorts.

35 RUM im 3001 und hier andernorts.

GRAN TORINO bei uns im Abaton OmU, im Streits OF, ansonsten im Holi, Zeise, UCI Mundsburg, UCI Othmarschen und hier andernorts.

VICKY CRISTINA BARCELONA im Passage und in einer Sonntagsmatinee im Zeise. Und hier ansonsten.

BOLT ab sofort in allen drei UCI-Multiplexen in 3D! Und hier andernorts.

Nicht mehr bei uns, aber noch anderswo zu sehen: REVANCHE (Kinos), JERICHOW (Kinos), SO FINSTER DIE NACHT (Kinos), DIE KLASSE (Kinos), LULU UND JIMI (Kinos), ALTER UND SCHÖNHEIT (Kinos), IT´S A FREE WORLD (Kinos), WALTZ WITH BASHIR (Kinos), O´HORTEN (Kinos), DER FREMDE SOHN (Kinos) und DIE PERLMUTTERFARBE (Kinos).



Außer der Reihe:



Das 3001 zeigt diese Woche im Spätprogramm von Samstag bis Montag den Lieblingsfilm von John Lennon: Alejandro Jodorowskys EL TOPO. An gleicher Stelle läuft am Dienstag und Mittwoch der legendäre TODESKING des Berliner Trash-Maestros Jörg Buttgereit. Persönlich ist er am Freitag im 3001 zu Gast, mit seiner mit Digital Video abgefilmten Theaterproduktion CAPTAIN BERLIN VERSUS HITLER im Gepäck.

Im Metropolis: Weiter geht's mit der Jim-Jarmusch-Retro, mit Filmen von Sydney Lumet, und es startet eine Derek-Jarman-Retrospektive.



Dies und das:




In den Kunstwerken in Berlin ist noch bis zum 19.4. ein temporärer Kinosaal eingebaut, in dem eine Rolle berühmter Vorspänne gezeigt wird, 50 an der Zahl, wobei Reihenfolge und Auswahl offenbar ziemlich beliebig sind.
Vorspannkino heißt die "Ausstellung" und ist wohl eigentlich ein eher doofer Versuch, allein durch den Präsentationsort das Kino der Kunstwelt einzuverleiben.
Wem der Kunstkontext aber schnuppe ist und das einfach als Kinobesuch betrachtet, der kann sich für sechs Euro an vielen schönen Vorspännen erfreuen, die hier ausnahmsweise mal nicht nur der Einstimmung dienen, sondern als Hauptprogramm gebührend gewürdigt werden.
Im Netz widmet sich übrigens die sympathische Seite "Forget The Film, Watch The Titles" den ersten Filmminuten, die oftmals Versprechen abgeben, die dann kaum oder gar nicht eingelöst werden.
Wenn man bei youtube einfach nach "opening titles" sucht, erhält man statt fünfzig 141.000 Vorspänne als Suchergebnis. Ganz unbelästigt von höheren Kunstweihen kann man da von morgens bis abends Vorpänne gucken, jahrelang. Falls man seine Zeit nicht mit Arbeit verplempern muss.



Richard Christian Kähler auf meine Frage nach seinem Lieblingsfilm:

"Mein Lieblingsfilm? Tja, kann sein, das ist jetzt ein bisschen erschütternd für die, die mich als kodderschnauzigen bis eiskalten Satiriker kennen, aber auf der Kehrseite lauert nun mal der Vollromantiker: SHAKESPEARE IN LOVE.
Sah ihn zum ersten Mal 1998, als er frisch herauskam, zusammen mit meiner damaligen Freundin im Kino und war schon da mehr als üblich beeindruckt und berührt. Als Selbst-Schreiberling und stundenlanger Schreibtischhocker natürlich besonders von 'Shakespeares' ewig schwer bekleckerten Tintenfingern. Und fast noch mehr von seiner bedenklich lang anhaltenden 'Schreibblockade'.
Und dann ein paar Jahre später, nach einer neuen, erst ganz großen und dann ganz großartig schief gegangenen Liebe, hab ich mir SHAKESPEARE IN LOVE noch circa hundert Mal auf DVD angeguckt. Und weil mein gequältes Liebeskummerherz damals so dermaßen sperrangelweit und schutzlos offen stand, jedes Mal dabei geheult wie ein Schlosshund. Verdammte Scheiße.

Aber sooo schön, dieser Film. Noch nie einen ebenso liebevoll wie klug inszenierten Traum voll Witz und Wahrheit gesehen. Und – wie ich ja selbst gerade erfahren hatte – sooo unrealistisch war er nun auch wieder nicht in der Schilderung und Empfindungsdarstellung einer außergewöhnlich großen Liebesgeschichte. Nein, eher extrem schmerzhaft nah dran.

Und darüber hinaus natürlich: Dieses großartige Drehbuch, diese hervorragende Regie und diese sensationellen Schauspieler! Diese perfekten Bauten und die prächtigen Kostüme! Und natürlich die traumschöne Musik! Und neben all dieser ebenso leidenschaftlichen wie Happy-End-losen Liebe immer diese wundervolle Shakespear'sche Sprache in Mono- und Dialogen, besonders in der so ergreifenden Abschiedsszene zwischen Viola und William. Ach.

Und weil ich auch grad wieder eine (hoffentlich nicht bedenklich lang anhaltende) Schreibblockade hab, schieb ich ihn mir jetzt gleich noch mal wieder ins Laptop rein. Und muss allein beim dran Denken schon wieder leise schniefen. Warum? 'Ich weiß es nicht. Es ist ein Wunder.' (Mein Lieblingszitat)"



SHAKESPEARE IN LOVE ist eine moderne Kostümfilm-Romcom mit Biopiceinschlag, weshalb ich, vorurteilsbeladen, wie ich nun mal bin, sicherheitshalber nie in Erwägung gezogen habe, mir den Film mit Joseph Fiennes und Gwyneth Paltrow anzugucken.
Doch da scheine ich was verpasst zu haben. Der Biopic-Aspekt spielt nicht wirklich ein Rolle, da so wenig über Shakespeares Leben in seinen jüngeren Jahren bekannt ist, dass die Drehbuchautoren Tom Stoppard (BRAZIL) und Marc Norman recht frei walten konnten. Und sklavisches Nachäffen fällt mangels Filmaufnahmen vom Original-William auch flach.

Als romantische Komödie scheint die Unternehmung durchaus gelungen zu sein. Das Filmlexikon meint: "Herausragende Darsteller, ein kongeniales Drehbuch und die entschlossene Inszenierung verbinden sich zu einem fulminanten filmischen Feuerwerk, das als augenzwinkernde Satire auf den Filmbetrieb, aber auch als intelligente Reflexion über den Wirklichkeitsgehalt von Fiktionen gelesen werden kann."
"Ist das ein Film oder eine Anthologie? Mir war's egal. Ich wurde mitgerissen vom Witz, der Energie und der überraschenden Anmut", schrieb Roger Ebert.

Für mich könnte dieser siebenfache Oscargewinner eine echte Entdeckung werden.




Richard Kähler, der den Christian erst in jüngster Zeit zwischen Vor- und Nachnamen schiebt, hat in den späten Siebzigern zusammen mit Hans W. Saalfeld in Hamburg das legendäre Nonsensmagazin Mark & Bein produziert, in einer Miniauflage von einigen hundert Exemplaren, dessen schönste Beiträge später in Buchform eine sehr viel größere Verbreitung fanden. Von der ersten Ausgabe an schrieb er auch für die 1979 gegründete Titanic; ab dem sechsten Heft machte er, wieder zusammen mit Saalfeld, acht Jahre lang die KoLiBri-Seiten, auf denen, in Nachfolge der WimS-Rubrik in Pardon, statt Satire ausgemachter Blödsinn stattfinden durfte.
Eine treue Anhängerschaft erwarb er sich als "Teddy Hecht" in 100 Ausgaben einer regelmäßigen Kolumne, die er 1983 erstmals zwischen die "Briefe an die Leser" gemogelt hatte. In "Teddy's Trends" schwadronierte er in einem Stil, für dessen Beschreibung der Begriff "kodderschnauzig", den Kähler selbst oben verwendet, sicher der beste ist, über all die kranken Moden der achtziger Jahre.

Über Spoiler:
"Meine größte Sorge gilt momentan den Citroënwerken: Ihr 2CV, die gute alte Ente, die es ja mittlerweile zu Hunderten in der individuellen, immer ein und derselben Charleston-Lackierung zu sehen gibt, scheint aktuell der einzige Neuwagen zu sein, der noch nicht serienmäßig mit Heckspoiler (scherzhaft auch 'Hutablage' genannt) ausgeliefert wird. Ja, wollt Ihr denn endgültig bankrott gehen?"

Über Wollgeschäfte:
"Mädels, macht Schluss mit der Woll-Laden-Inflation! Macht das Wolllädchen, die Wollust, oder das Wollparadies von außen zu, steckt die finanzielle Schlappe weg und seid nicht zu arg frustriert, nur weil Ihr Euer Selbstgehäkeltes in Zukunft wieder selber tragen müsst – wer denn sonst?"

Über Einrichtung im "Japan-Look":
"Flach, kleine Möbel, weiß und leer. Licht und Schatten. Dazwischen der Mensch. Das hält man vielleicht drei Jahre aus – dann wird die Wohnlandschaft wieder mit Persern und Postern vollgerammelt. Weil das einfach gemütlicher ist."

Über kleine Hifi-Geräte:
"Dass sich Menschen mit ca. 1 Quadratzentimeter großen Fingerkuppen Geräte und so genannte Mini-Komponenten andrehen lassen, bei denen pro Quadratzentimeter circa ein gutes Dutzend Mini-Bedienungstasten erst mal zu finden und dann noch zu drücken sind, lässt mich schrill schmunzeln, wenn ich daheim auf dem Rücken liege und den Riesen-Volumenknopf meiner steinalten Maxi-Anlage mit dem Fuß bediene – groß, Leute, groß! Das ist Luxus!"

Über Schulterpolster:
"Ich bin zu jung, um aus den irrwitzigen Zeiten zu erzählen, als Frauen sich den Spitzbergen-BH noch mit Schaumgummi auspolsterten, um mehr zu scheinen als zu sein. Aber ich werde nicht versäumen, meinen Kindern zu erzählen, wie es war, als ihre eigene Mutti Brust Brust sein ließ und sich stattdessen den Polsterschwindel unter das Herrenjackett stopfte, um mit Holzfällerschuhen die Männergeschäftswelt zu erobern."

Über Gerätefarben:
"Auch in deutschen Küchen geht es wohl schaurig zu: kein Küchenhilfsgerät, das nicht ausschließlich in den Farbtönen 'Eierschale erbrochen', 'Babyschissgrün' oder gar 'Leberwurst' zu haben wäre. Jaja, auch die Hausfrauen scheinen kein leichtes Dasein zu fristen."

Über Dreieckstücher:
"Wirklich überraschend sind doch die jungen Mädchen, die jetzt alle (statt wie noch vor ein paar Jahren mit einem wild-wüsten, schwarzweißen Palästinensterschal-Geknuddel um Hals und Visage) mit einem enorm rustikal gemusterten enorm korrekt sitzenden Dreieckstuch um und über die Schultern einhergeschritten kommen wie die bravste Münchner Bürgersfrau. Was ist los mit den Mädchen? Warum machen die plötzlich alle auf solide? Wollen die etwa geheiratet werden?"

Über herausnehmbare Autoradios:
"An meinem Schreibtisch drängeln sich in letzter Zeit junge Männer mit tragbaren Henkel-Radios in der Hand. Wenn man sie bittet, das erzteuer aussehende, mattschwarze Ding doch mal kurz hören zu lassen, behaupten sie, die Lautsprecher dazu unten im Auto gelassen zu haben. Ist das Fortschritt?"

Über künstliche Süßstoffe:
"Nutra Sweet, irgendein Assugrin-Schweinkram, wagt sich auf ganzseitige Anzeigen und steckt nun in jeder Cola, die mittlerweile wahrscheinlich dünn macht. Eklige Flüssig-Süß-Fläschchen und die Plastikspendertonnen mit den weißen winzigen, widerlichen Chemiezuckerpillen sieht man bevorzugt in den Patschhänden der dicksten und prallsten Watschelhennen auf Zulassungsstelle, Einwohnermeldeamt und wo immer sonst noch Beamtenfrauen gerade Kaffee trinken, wenn man irgend etwas von ihnen will – der Kalorienbombenteller Nougattorte steht natürlich gleich daneben. Dass nun aber sogar eine ehrwürdige alte Firma wie Kühne sich nicht entblödet, meine Lieblings-Rote-Beete z. B. nicht nur wie gehabt mit echtem Zucker zu süßen, sondern obendrein auch noch zusätzlich eine Extraportion Saccharin ins Glas haut, halte ich für den Gipfel des Scheißberges. Den können sie sich nun in Zukunft allein irgendwo reinschieben."

Über "Light"-Produkte:
"Leicht-leicht-leicht? Seicht-seicht-seicht! Hauptsache, der Bikini passt und der Kopf bleibt leer. Ich hingegen sage: 'Gewogen und zu leicht befunden'. Denn Gutes ist schwer. Und worauf ich und die Menschheit wirklich dringend warten, das ist zum Beispiel Cola heavy. Verstanden, Herren bei den Werbeagenturens? Trend kapiert? Reagiert? Gut."

Über Privatfernsehen:
"Herrlich, was für einen Scheiß die alles senden!"

Über "Der-die-dassen":
"Auch das unsägliche, öko-harmonisiersüchtige Der-die-dassen will & will & will nicht aussterben – obwohl ich diese schaurige Unsitte hier eisern über Monate hinweg totgeschwiegen habe. Nun ist es im Werbefernsehen: 'Ja, die Yogurette, die schmeckt so herrlich leicht! Hallo! Ich bin die Bettina Berger ...' Na, undsoweiter und undsodoof. Also, merke: 'Hallo! Ich bin die Hilde!' – 'Hallo! Ich bin der Peter!' A-ber: 'Hallo, ihr beiden. Ich bin Teddy! Das Arschloch!"

Sehr selten findet Teddy einen Trend auch mal richtig gut:
"Ja, Mädels, ich habe es nicht übersehen: Ihr seid schier wahnsinnig vor neuer Erotik! In alles, was man nur aufschlitzen kann, habt Ihr auch einen Schlitz gemacht: in Röcke, in Hosen, in Kleider – Schlitze, wohin man sieht. Sicherlich wollt Ihr damit so ganz nebenbei darauf hinweisen, dass Ihr auch anderswo einen wunderschönen Schlitz vorzuweisen habt ... Und dass Ihr den ebenfalls stets bis zum aufgeknöpften Anschlag offen tragt (auch auf die Gefahr hin, Euch dabei schwer zu erkälten), dafür danken Euch von Herzen alle, die stattdessen allzeit ein kleines Stengelchen mit sich herumschleppen".

Im Rückblick schreibt Richard Kähler, dass "Teddy's Trends" wegen des streng subjektiven privaten Kolumnenstils ja eigentlich das allererste Blog sei (Max Goldt fing mit seinen Kolumnen erst 1989 an) und kündigt folgerichtig eine Wiederaufnahme im Netz an. Bis jetzt ist da aber noch nicht viel passiert. Um – auch angesichts von Schreibblockaden, von denen oben die Rede war – die Hürde zu senken, habe ich eben diese Seite eingerichtet. Vielleicht beißt der Hecht ja an.

Falls nicht, kann man immerhin auf das Buch zurückgreifen, das alle Kolumnen bis 1989 sammelt.

Ab 1987 erschien "Teddy's Trends" übrigens in der Zeitschrift Kowalski ("Saublöder Name für 'ne Zeitschrift" stand auf dem Titel der ersten Ausgabe), die Kähler, wieder gemeinsam mit Saalfeld und wieder in Hamburg, im Verlag des Werner-Verlegers herausbrachte. Das Heft überflügelte vom Start weg, auch dank der Popularität der Werner-Comics, die Titanic in der Auflagenhöhe und bot weniger Satire, dafür viel viel Platz und Freiheit für höheren Blödsinnn von Autoren und Zeichnern wie Bernd Pfarr, Fritz Tietz, Fanny Müller (Geschichten mit Frau K.), Jean-Marc Reiser, Walter Moers, Gerhard Henschel, Kathrin Passig, Ralf König oder Michael Gutmann. 1991 verabschiedete sich Kähler vom täglichen Redaktionsalltag; zwei Jahre später kam für Kowalski und den ganzen Semmel-Verlach das Aus.

Seither verdingt sich Richard Kähler als freier Autor für Gott und die Welt, also für das Fernsehen und unterschiedlichste anständig zahlende Magazine und hat in jüngster Zeit als Frauenexperte ein Buch über Frauen und zwei über verliebte Teddybären veröffentlicht. Die Teddys heißen Anna & Elvis, bzw. Anna & Elvis & Bo, und ihre Geschichten werden von Kähler nicht nur in Versen erzählt, sondern auch mittels Fotos in liebevoll aufgebauten und beleuchteten Sets auf Location und im Studio bebildert. Ja, denn fotografieren kann er auch. Und musizieren. Aber am besten kann er, als Teddy Hecht, schwadronieren. Hoffentlich macht er das wirklich bald mal wieder.




Und ein Film, den wir glücklicherweise nicht gesehen haben:

Shakespeare-Darsteller Joseph Fiennes war mittlerweile Martin Luther, stand vor der Kamera als Antonio Vivaldi, und angeblich wird er demnächst auch noch Charles Darwin spielen. Eine seltsame Spezialisierung ist das.
So richtigen Schrott hat er aber auch gemacht. RANCID ALUMINIUM, "deutscher" Titel: "Extreme Risk" ist eine vermurkste Kriminalkomödie nach einem Roman von James Hawes. "Fahrige Verfilmung eines Bestsellers, die sich vergeblich um einen ironisch-lakonischen Anstrich bemüht und den an sich recht guten Darstellern nur hölzerne Dialoge zumutet," meint das Filmlexikon. Die Durchschnittsnote bei imdb: 3,7 (!).
"The only reason I went at all was because my girlfriend was in a post-SHAKESPEARE IN LOVE Joseph Fiennes phase. And oh dear god it's bad. (...) We were the only two people that didn't walk out at the screening we attended," schreibt ein imdb-Nutzer aus London.

Der jüngste Film des SHAKESPEARE -IN-LOVE-Regisseurs John Madden ist übrigens die Elmore-Leonard-Verfilmung KILLSHOT mit Mickey Rourke, die vom Studio leider erst ewig zurückgehalten wurde und dann im Januar in den USA ohne jede Werbung mit einer lächerlichen Anzahl von Kopien ihrem Untergang überlassen wurde. Mal schauen, ob der Film es trotzdem bis zu uns schaffen wird.



Umsonst und zuhause:


Am Freitag:

Ausnahmsweise hier mal ein Hinweis auf eine Serie. Die hat es nämlich in sich. KDD - KRIMINALDAUERDIENST ist die einzige deutsche Krimisserie, bei der ich je bei der Stange geblieben bin. Die ersten beiden Staffeln werden von arte jetzt noch einmal ausgestrahlt, zu anständiger Sendezeit; es ist also eine gute Gelegenheit für alle, an denen der erste Durchlauf völlig vorbeigegangen ist, noch von Anfang an einzusteigen. Ein sehr ungewöhnliches Buch, das einerseits große Handlungsbögen über die einzelnen Staffeln hinaus spannt und andererseits in einer Folge von 45 Minuten so viel erzählt, dass es für drei Tatortfolgen langen würde, gute Darsteller (u. a. Devid Striesow, Bernhard Schütz, Saskia Vester, Götz Schubert, Manfred Zapatka und Jürgen Vogel als humpelnder, schwuler Drogengangster) und eine souveräne Inszenierung: Was für eine Überraschung. Eigentlich ist das viel zu gut fürs deutsche Fernsehen, hatte ensprechend geringe Einschaltquoten, wird aber wundersamerweise trotzdem vom ZDF weiterproduziert: Die dritte Staffel kommt im Herbst. Mehr zum Inhalt und zu Terminen hier. Um 21.00 Uhr strahlt arte die Pilotsendung aus, direkt danach, um 22.25 Uhr, folgt die erste reguläre Folge. Weiter geht's dann in den nächsten Wochen jeden Freitag um 21.00 Uhr. ShowView 8.876.139 / 8.399.684



Am Samstag:

Das Debüt von Marcus H. Rosenmüller, frisch und sehr komisch, auch für uns hier im Norden. WER FRÜHER STIRBT IST LÄNGER TOT am Samstag um 20.15 Uhr im BR. ShowView 254.337


Auch am Samstag:

Ein Nanni-Morretti-Film von 1998 im halbdokumentarischen Stil von LIEBES TAGEBUCH. Diesmal beschäftigt den italienischen Schauspieler, Autor und Regisseur (der wahrscheinlich schreien muss, wenn man ihn als den "italienischen Woody Allen" bezeichnet), der italienische Wahlkampf, Film und die Tatsache, dass er Vater wird. APRILE im WDR um 00:15 Uhr, ShowView 4.528.486



Am Sonntag:

Eine Doku von Karl Saurer, die eine vor 450 Jahren vollzogene Reise eines indischen Elefanten über die Alpen bis nach Wien nachvollzieht und dabei Erkenntnisse gewinnt über Kultur und Mentalität hie und da und gestern und heute. Könnte ausgesprochen sehenswert sein. RAJAS REISE auf 3Sat um 21:45 Uhr, ShowView 41.809.979


Auch am Sonntag:

Die beklemmende Exorzismusgeschichte von Hans-Christian Schmid, einem der wenigen Guten, die wir haben. Das Debüt der Schauspielerin Sandra Hüller. REQUIEM jetzt noch einmal spät im Ersten um 23:30 Uhr, ShowView 3.181.825



Am Dienstag:

Dokumentation über den Libanonkrieg 2006, von einem regulär eingezogenen Soldaten, die erstaunlicherweise trotz der sehr kritischen Sichtweise von der israelischen Armee freigegeben wurde. Der Regisseur: "At the age of 28, I was drafted as a soldier in the Second Lebanon War. Instinctively, I grabbed my video camera. The documentary recalls the lack of justice in this unnecessary war and the loss of valuable lives. This was my personal earthquake and the nation's as a whole."
MY FIRST WAR auf arte um 21:45 Uhr, ShowView 9.623.185


Auch am Dienstag:

Zwei Frauen entführen den Telekom-Chef, um durchzusetzen, dass die gelben Telefonzellen wiederkehren. Schräge Low-Budget-Komödie mit Nonsensdialogen, die einem alten Trashmeister, Klaus Lemke, Referenz erweist. Im Standard schrieb Isabella Reicher: "Könnte man sich heute noch auf Kategorien wie 'Underground' berufen, dann wären DIE QUEREINSTEIGERINNEN dafür das schönste Lebenszeichen." Um 22:55 Uhr auf 3Sat, ShowView 89.091.807



Auch am Dienstag:

Der letzte Film von Frank Capra, die Komödie mit einer großartigen Bette Davis als Bettlerin, die mit Hilfe von diversen Gaunern der plötzlich aus Europa auftauchenden Tochter (Ann-Margret) vorspielt, sie sei eine große Dame. DIE UNTEREN ZEHNTAUSEND ("A Pocketful Of Miracles") auf N3 um 00:35 Uhr, ShowView 84.910.321


Am Mittwoch:

Ein schottischer Film von David Mackenzie aus dem Jahr 2007. Eine Coming-Of-Age-Geschichte, etwas schräg, komisch, gut gefilmt und ein wenig unglaubwürdig. Ein junger Mann, dessen Mutter gestorben ist, hat offenbar einen ordentlichen Hau abbekommen und spioniert seinen Mitmenschen nach, bis er in Glasgow eine Frau trifft, die seiner Mutter ähnelt.
Zum ersten Mal im Fernsehen.
HALLAM FOE, um 00:50 Uhr im Ersten.


Auch am Mittwoch:

Trotz silbernem Bären ist der zehnte Film von Meister Kim Ki-Duk bei uns recht unbekannt geblieben. Es geht um eine Schülerin, die sich prostituiert, um sich eine Reise nach Europa zu finanzieren. Und um ihren Vater, der das rausbekommt. Formal streng und verstörend: SAMARIA, im BR um 00:15 Uhr.


Auch am Mittwoch:

ALS DER WIND DEN SAND BERÜHRTE ist zwar ein ganz furchtbarer klingender Titel, dahinter verbirgt sich aber eine eindringlich und überzeugend erzählte Geschichte um eine afrikanische Familie auf der Suche nach Wasser. "Geschickt die Balance zwischen neorealistischer Darstellung und poetischer Überhöhung haltende Inszenierung, die sich nicht zuletzt durch die atmosphärisch-dichten Bilder und die authentischen Darsteller zu einem Meisterwerk des ethnisch-fiktiven Kinos verdichtet", meint das Filmlexikon. Auf arte um 23:30 Uhr, ShowView 8.470.215


Wie immer gibt es außerdem noch viele weitere sehenswerte und wohlbekannte Filme im Programm, beispielsweise DIE RITTER DER KOKOSSNUSS, DIE DREI TAGE DES CONDOR, DER GENDARM VON ST. TROPEZ, AUCH EIN SHERIFF BRAUCHT MAL HILFE, BLOW UP, LIEBE 1962, ZABRISKIE POINT und MAGNOLIA. Wer suchet, der findet.

Wer die Fernsehtipps lieber häppchenweise, an den jeweiligen Ausstrahlungstagen lesen will, wechselt zur Fernsehprovinz.



Eine Googleabfrage, die letzte Woche jemanden aus Bad Homburg auf diese Seiten führte: "hausfrauenanweisungen".

1 Kommentar:

  1. … aber das Mädchen auf dem „Unborn“-Plakat hat einen wirklich hübschen Hintern.

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