Dreckiger Harry und fürsorglicher Clint

"Ich hasse das gottverdammte System, aber solange keiner mit ein paar sinnvollen Veränderungen daherkommt, bleibe ich dabei."

Clint Eastwood in und als Dirty Harry


Woche 10/2009 (5.3. - 11.3.)

Die Neustarts:




Und schon wieder ein neuer Film von und diesmal auch wieder mit Clint Eastwood: Er spielt eine Figur, die könnte der dreckige Harry Callahan sein, der alt geworden, verbittert und einsam in seinem Vorstadthäuschen hockt und seine rechten und rassistischen Ansichten pflegt. Die Nachbarschaft besteht vor allem aus asiatischen Migranten und der Film erzählt davon, wie nach einer Bedrohung durch eine Gang sich der alte Unsympath zu wandeln beginnt.
So eine Läuterung ist meistens eine doofe und vorhersehbare Sache, aber wer den Regisseur und Darsteller kennt, weiß, dass man sicher gerne dabei zuguckt, wie beim Starrkopf die Starre nachlässt. Die Kritiken fallen fast durchweg positiv aus, hüben wie drüben, und an der Kasse hat sich GRAN TORINO bereits jetzt als erfolgreichster aller seiner Filme herausgestellt. Der fast Achtzigjährige macht einfach das Beste, was im amerikanischen Mainstream zur Zeit so daherschwimmt. Hoffentlich noch lange.
GRAN TORINO läuft bei uns im Abaton OmU, im Streits OF, ansonsten im Holi, Zeise, UCI Mundsburg, UCI Othmarschen und hier andernorts.





Wem NÉNETTE UND BONI, das schöne kleine Alltagsdrama von 1996 mit solchen schönen Szenen, Vincent Gallo, Valeria Bruni Tedeschi und Musik von den Tindersticks schon zu langatmig war, dem wird der neueste Film von Claire Denis sicher nicht gefallen. Denn die unspektakulär erzählte Geschichte eines allein erziehenden Lokführers und seiner erwachsen werdenden Tochter verzichtet auf dramatische Zuspitzungen und erzählt vor allem mit Bildern: Kein Film, bei dem man gleichzeitig bügeln kann und trotzdem nichts verpasst. "35 Rhums entfaltet einen attraktiven Sog", schreibt Diedrich Diedrichsen in Cargo. Ich freu mich drauf. Irritierend: Der Filmförderung sei dank tauchen notdürftig vermittelt Ingrid Caven und die Hansestadt Lübeck auf der Leinwand auf.
Wer die Tindersticks mag, hat einen guten Grund für einen Kinobesuch; 12 Jahre und sechs Claire-Denis-Filme nach NÉNETTE UND BONI stammt die Musik wiederum von der britischen Band und erscheint diesmal nirgendwo auf CD.
35 RUM läuft im 3001 und hier andernorts.


Außerdem neu:



Ich mag diese Typen nicht, die immer gleich die ganze Stadt oder gar Welt retten, die fand ich schon als Kind doof. Obwohl mir Comics gefallen, sehr sogar, auch heute noch. Und diese Abneigung erstreckt sich auch auf die intelligenten Varianten und Erweiterungen des Genres, weshalb ich auch um das allseits verehrte Epos "Watchmen" von Alan Moore und Dave Gibbons aus den späten Achtzigern immer einen Bogen gemacht habe. Ich halte die Helden mit Superkräften, sind sie auch noch so gebrochen, nur aus, wenn Komik im Spiel ist: Wie bei Daniel Clowes, bei den UNGLAUBLICHEN oder dem völlig durchgeknallten GROSSEN JAPANER. Dieser Ignoranz ist es auch zu verdanken, dass ich letztes Jahr den IRON MAN verpasst habe (vermutlich der beste Blockbuster des Jahres) und mich zur vielleicht gröbsten Fehleinschätzung habe verleiten lassen, die ich mir hier bislang geleistet habe.

WATCHMEN ist also eher kein Film für mich. Ich neige dazu, den Kritikern Glauben zu schenken, die den Film für überladen, von Spezialeffekten erdrückt, narrativ unbefriedigend und teilweise mäßig gespielt halten. Sie sind aber sehr deutlich in der Minderheit.
Ansonsten finden fast alle das bombastische Spektakel ganz toll. Na dann: viel Spaß.
Hier ist eine Inhaltsbeschreibung. Regie führt übrigens Zack Snyder, der auch das Blutbad in der Antike, 300, gedreht hat. Bei der Odyssee des Projekts durch vier Studios hatten vor ihm schon, nacheinander, Terry Gilliam, Darren Aronofsky und Paul Greengrass an einer Verfilmung gewerkelt.
Alan Moore, der Autor der Vorlage, will sich, wie ich, den Film nicht angucken. Über Hollywood sagt er bei "Hero Complex": "Es füttert uns und das hat den Effekt, dass unsere kollektive kulturelle Vorstellungskraft verwässert wird. Als seien wir frisch geschlüpfte Vogeljunge, gucken wir mit aufgesperrten Schnäbeln hoch und warten darauf, dass Hollywood uns mit hochgewürgten Würmern füttert. Der WATCHMEN-Film hört sich nach noch mehr hochgewürgten Würmern an. Ich meinesteils habe die Nase voll von Würmern. Können wir nicht mal was anderes bekommen? Vielleicht vom Imbiss? Selbst chinesische Würmer wären eine angenehme Abwechslung".
WATCHMEN läuft bei uns in sämtlichen Multiplexen und im Rest der Republik wohl auch.


Im Vorspann läuft übrigens überraschenderweise "The Times They Are A-Changin'" und dann ist auch noch diese Coverversion von My Chemical Romance extra aufgenommen worden. Meister Dylan wird's freuen. Das Honorar, nicht der Film.

Mir gefiel ja Blumfelds "Desolation Row" mit dem Titel "Jenseits von Jedem" besser. Dafür hat Dylan aber nüscht gekriegt.



Schon wieder eine glatte Romcom von der Stange, diesmal mit Owen Wilson und Jennifer Aniston, in der ein gaanz niedlicher Labrador für Chaos in beider Zuhause und für Gelächter im Publikum sorgt. MARLEY & ICH läuft im Streits OF, in sämtlichen Multiplexen und hier andernorts. Kullertränen zum Ende sind auch einkalkuliert: Die Wirkung könnte beim Publikum allerdings etwas geschmälert werden, wenn der Ausgang der Geschichte schon vorher bekannt wäre. In Los Angeles hat vor dem Filmstart ein fieser Sprayer überall in der Stadt genau dafür gesorgt (via Pajiba). Sowas von gemein:





"Willi will's wissen" ist, man könnte drauf kommen, eine Wissenssendung für Kinder. Die erfolgreiche Serie des Bayrischen Rundfunks läuft bereits seit sieben Jahren. Der Willi, der's wissen will, stellt sich doof und überall viele Fragen und verschafft dem Publikum dadurch Einblick in unterschiedlichste Arbeits- und Lebenswelten. Irritierend wirkt dabei auf manche das starre Dauergrinsen des Reporters, von dem man zu gerne wüsste, ob es immer gleichzeitig mit der Kamera abgeschaltet wird oder wie beim Joker fixiert wurde.

Ich bin ja eher ein Freund der Sendung "Wissen macht Ah!", in der die sehr viel komischeren Moderatoren Shary und Ralph hemmungslos klugscheißen und im Zweifel das Publikum eher mal überfordern, statt sich doof zu stellen. Zugute halten muss man "Willi will's wissen" jedoch, dass da auch Themen behandelt werden, die vorher im Kinderfernsehen nicht vorkamen. Willi übernachtet auch mal mit Obdachlosen im Park, guckt sich an, was der Bestatter so alles zu tun hat oder lässt sich zeigen, wie so eine künstliche Besamung auf dem Gestüt vonstatten geht, wobei die Kamera sowohl bei der Spermagewinnung als auch bei der weiteren Verwendung des kostbaren Schlabbers voll draufhält. Willi grinst dazu. Der Bayerische Rundfunk ist auch nicht mehr das, was er mal war.

Der Versuch, den Erfolg eines solchen Formats jetzt nicht nur auf Bücher, Zeitschriften, Spiele und sonstige Produkte, sondern auch auf einen Kinofilm zu übertragen, ist ziemlich ungewöhnlich. Damit sich das vom Fernsehalltag sichtbar abhebt, wurde eine kleine Weltreise unternommen und das übliche Schema mit Spannungsmomenten aufgepeppt: Willi reist von der Arktis bis in die Sahara und tut so, als würde er fast vom Skorpion in die Zange genommen werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das sonderlich überzeugend ausfällt. Todesangst passt einfach nicht gut zu Willis Grinsen. Bedingt empfehlenswert wohl nur für Sechsjährige mit sehr toleranten Eltern. In den positiven Kritiken steht verdächtig oft das Wort "kindgerecht", was ja nichts anderes bedeutet als: "Ich fand's unerträglich doof, ist ja aber auch nur für Kinder".
WILLI UND DIE WUNDER DIESER WELT läuft im Zeise, Abaton, Cinemaxx, Cinemaxx Harburg, UCI Othmarschen und im UCI Wandsbek. Und hier überall.




"Die großen 3D-Blockbuster" finden "dieses Jahres in den Hamburger UCIs" statt, so antwortete mir im Dezember die Sprecherin der UCI Kinowelt. Mit BOLT in 3D war das schon mal nichts bei uns, und für den ersten komplett digital produzierten 3D-Realfilm, eine Neuverfilmung von der REISE ZUM MITTELPUNKT DER ERDE, findet sich jetzt im März auch noch kein einziger entsprechend ausgestatteter Saal in Hamburg. Und das ist schade, denn "von einer herkömmlichen 2D-Vorführung ist dringend abzuraten, da hier die eindimensionalen Figuren, Dialoge und Wendungen unübersehbar werden. In 3D ist der krachende Special-Effects-Overflow hingegen so augen- und ohrenbetäubend, dass man das Knirschen im inszenatorischen Gebälk bisweilen geflissentlich überhört", so Kathrin Häger im filmdienst.
Ich finde es ja schon mal doof, dass der Professor nicht wie in Jules Vernes Buch Lidenbrock heißt und auch nicht in Hamburg lehrt, von wo sein Neffe und Assi Axel zu Fuß an der Elbe lang zur Nachbarstadt Altona wandert, als er überlegt, ob er an der wahnwitzigen Expedition teilnehmen soll.
In welchen Kinos REISE ZUM MITTELPUNKT DER ERDE in 3D läuft, ist in keiner der überregionalen Programmübersichten im Netz ausgewiesen, da hilft nur ein Blick in die Liste der 3D-Kinos in Deutschland und ein anschließender Vergleich mit der Auflistung bei kino.de.




AYAKTA KAL – GIB NICHT AUF! ist wieder so ein türkischer Film, über den man nichts rausbekommt, wenn man kein Türkisch versteht. Sieht weniger nach einem Film als nach einer grottigen Vorabend-Soap aus. Der türkische Promotext auf der Website des Films wird von Google so übersetzt: "Die Herstellung der Faruk Aksoy und MURAT AKDİLEK'in davon ausgehen, dass die Richtung der ADNAN Güler die AYAKTA KAL in seiner Jugend Publikum Filme, Comedy und Drama der Szene, als auch von Zeit zu Zeit mit angenehme Überraschung zu weinen, lachen manchmal ..."
Im UCI Wandsbek und in diesen Städten.



Wöchentliche Provinzialitätsmessung:


Die Doku JOY DIVISION über, na was wohl, startet unter anderem in Butzbach, Magdeburg und Münster, aber nicht in der Kinoprovinz Hamburg. Genausowenig wie eine weitere vielgepriesene Musikdoku, ON THE RUMBA RIVER über den Kongolesen Wendo Kolosoy, die läuft vorerst nur in Berlin. SIEBEN TAGE SONNTAG, ein deutsches Sozialdrama, das die wahre Geschichte eines Gewaltausbruchs zweier Jugendlicher erzählt, läuft auch nur anderswo. Ausschließlich in Berlin gibt es auch nur den kurzen Festivalhit TORPEDO zu sehen, und da laufen, wie immer, überhaupt alle neuen Filme an. Bei uns dagegen nur 64%.



Weiterhin:


DER KNOCHENMANN im Zeise und nachmittags im Abaton. Und anderswo. Was gibt's Schöneres, als wenn positive Erwartungen noch übertroffen werden? Alles, alles wurde hier richtig gemacht. Hat mir schon mal irgendein deutschsprachiger Film so gefallen? Ich glaube nicht.

THE WRESTLER läuft bei uns OmU im 3001 und im Abaton, synchronisiert im Cinemaxx nur noch frühabends und spät im UCI Othmarschen. Hier die Kinos andernorts.

JERICHOW im Blankeneser. Und hier andernorts.

DIE KLASSE im Alabama. Und hier.

VICKY CRISTINA BARCELONA im Passage und in einer Sonntagsmatinee im Zeise. Und hier ansonsten.

BOLT nur noch nachmittags in allen Multiplexen und hier andernorts.

DER FREMDE SOHN nur noch einmal in einer Sonntagsmatinee im Cinemaxx. Und hier andernorts.

Nicht mehr bei uns, aber noch anderswo zu sehen: REVANCHE (Kinos), SO FINSTER DIE NACHT (Kinos), LULU UND JIMI (Kinos), ALTER UND SCHÖNHEIT (Kinos), IT´S A FREE WORLD (Kinos), WALTZ WITH BASHIR (Kinos), O´HORTEN (Kinos) und DIE PERLMUTTERFARBE (Kinos).



Außer der Reihe:



Am Freitag gibt es die außerordentlich rare Gelegenheit, sich George A. Romeros DAWN OF THE DEAD anzutun, den vielleicht besten und cleversten Horrorfilm aller Zeiten, von 1978, in der allgemein meistgeschätzten Euro-Schnittfassung von Dario Argento, deutsch synchronisiert. Das Vergnügen haben wir italo-cinema.de zu verdanken und dem B-Movie. Hoffen wir, dass kein überengagierter Staatsanwalt hier mitliest, denn an der Rechtslage hat sich nichts geändert. DAWN OF THE DEAD läuft im Doppelprogramm mit einem Überraschungsfilm, Anfangszeiten sind 20:00 Uhr und Mitternacht.

Außerdem diese Woche im B-Movie: NADA von Claude Chabrol: Einer seiner Filme, der sich mal nicht für die Psychosen des Bürgertums interessiert, sondern den Protagonisten einer diffus politisch motivierten Entführung über die Schulter guckt. Hat, auch dank des Verstecks auf dem Land, fast mehr mit Sam Peckinpah als mit Chabrols sonstigen Filmen zu tun. Die Vorlage stammt vom legendären französischen Neo-Noir-Schreiber Jean-Patrick Manchette.

Im Metropolis: Weiter geht's mit der Jim-Jarmusch-Retro; es beginnt eine kleine Reihe mit Filmen von Sydney Lumet, und es gibt die veritablen Klassiker VERTIGO, EASY RIDER und die Altamont-Doku GIMME SHELTER auf der Riesenleinwand zu sehen. Als Hamburger Erstaufführung wird die Doku DIE DÜNNEN MÄDCHEN über viel zu dünne Mädchen gezeigt.



Peter Bossen auf meine Frage nach seinem Lieblingsfilm:

"An das Datum kann ich mich nicht mehr genau erinnern (es muss so 1971 oder 72 gewesen sein und ich war 18 oder 19), aber an den Ort: es waren die Winterhuder Lichtspiele in Hamburg, aus denen kurz danach das Magazin-Kino wurde. Meine Kino-Erfahrungen hatten sich bis dahin bevorzugt auf Karl-May-Filme (als Kind), später auf Italo-Western und Bud Spencer/Terence Hill-Streifen beschränkt, bis ich an besagtem Tag Stanley Kubricks A CLOCKWORK ORANGE sah. Warum ich mir den Film überhaupt angesehen habe, weiß ich nicht mehr (vielleicht wegen des eigenartigen Titels), ich weiß nur, dass meine Kino-Welt danach eine andere war.

Dabei spielt die Story, wie so häufig bei Kubrick, eine eher untergeordnete Rolle und kann mit wenigen dürren Worten erzählt werden: jugendlicher Delinquent einer futuristischen Rocker-Gang mutiert mit den Mitteln der modernen Psychologie zu einem Rädchen im Getriebe des gesellschaftlichen Mainstreams, kann am Ende aber zu seinem anarchisch-individuellen Lebensstil zurückkehren. Daraus macht der Film allerdings kein sozialpädagogisches Lehrstück, sondern eine zynische und bitterböse Satire. Beeindruckend sind die Mittel, mit denen Kubrick diese Geschichte erzählt, ein Rausch aus Bildern und Musik. Die Zukunft, die wir inzwischen längst hinter uns gelassen haben, sieht bei Kubrick aus wie eine überdrehte Version des poppigen 'Swinging London' aus den 60er Jahren. Bei der Musik, zu der auch die bei Kubrick fast obligatorischen Klassik-Stücke gehören, beeindrucken vor allem die eindringlichen Synthesizer-Klänge von Walter Carlos. Manchmal schaue ich mir heute noch nur den Anfang des Films an und kriege von der Musik eine Gänsehaut.

Und dann dieser Hauptdarsteller! Der damals unbekannte Malcolm McDowell war in seiner Rolle des abscheulichen Ober-Fieslings und Opportunisten, den man einfach gern haben muss, nie wieder so genial (außer vielleicht in seiner etwas ähnlich gelagerten Rolle in OH LUCKY MAN).

Der Film ist oft kritisiert worden, weil er Gewalt ästhetisiere. In der Tat werden Schlägereien wie Ballette inszeniert und eine brutale Vergewaltigung wie eine Musical-Szene und dazu erklingt 'Singing in the Rain'. Heute würde man wohl den direkten Weg wählen und die Gewaltdarstellungen realistisch gestalten, aber vor 35 Jahren war dies eben nur mit den Mitteln der Verfremdung möglich. Trotzdem sollte man darauf verzichten, den Film möglicherweise mit der Dame seines Herzens anzusehen. Meine Begeisterung dafür hat bei einigen Angebeteten eher Verstörung hervorgerufen und mich so manchen romantischen Moment gekostet. Jedenfalls habe ich es auch in 25 Beziehungsjahren bisher nicht gewagt, den Film meiner Frau vorzuführen.

Was geblieben ist, ist eine lebenslange Begeisterung für das Kino, das dann doch mehr sein konnte, als VIER FÄUSTE FÜR EIN HALLELUJA und DIE RECHTE UND DIE LINKE HAND DES TEUFELS."


A CLOCKWORK ORANGE wurde 1971 gedreht, nach einem Roman von Anthony Burgess von 1962. 1990 schrieb Burgess über die Verfilmung: "Es gab Mitte der Sechziger einen Versuch, 'A Clockwork Orange' auf die Leinwand zu bringen, mit einer Gesangsgruppe, die unter dem Namen The Rolling Stones bekannt war und das gewalttätige Quartett spielen sollte, angeführt von dem Helden Alex, eine Rolle die für Mick Jagger gedacht war. Ich verehrte die Intelligenz, wenn nicht gar die Kunst dieses jungen Mannes und fand, er sehe aus wie die Quintessenz von Delinquenz. Die Filmrechte wurden für einen sehr kleinen Betrag an eine kleine Produktionsfirma verkauft, deren Kopf ein kalifornischer Anwalt war. Sollte der Film überhaupt realisiert werden, hätte das nur in einer ökonomischen Form sein können, die Aufführungen ausschließlich vor geschlossenen Gesellschaften erlaubt: Die Zeiten waren nicht reif für die Vorführung von Vergewaltigung und fortgesetztem Chaos vor anständigem Familienpublikum. Als die Zeiten dann reif waren, wurden die Filmrechte weiterverkauft an Warner Brothers für eine sehr große Summe: Ich habe nichts davon gehabt ..."
Vielleicht waren die Zeiten doch noch nicht ganz reif: Nach Pressegetöse in Großbritannien um angebliche Nachahmungstäter ließ Kubrick den Film 1973 aus dem Verleih nehmen. Erst 1999, nach seinem Tod, konnte er in Großbritannien wieder aufgeführt werden.

Wer
A CLOCKWORK ORANGE noch einmal oder gar zum ersten Mal oder zum ersten Mal mit Originalton oder aber zum ersten Mal mit seiner Frau oder sonstigem Partner anschauen will, hat diese Woche in Hamburg sogar im Kino Gelegenheit dazu: Das 3001 zeigt den Film von Donnerstag bis Sonntag in der Spätvorstellung. Auf DVD ist er derzeit in sage und schreibe fünf verschiedenen Ausgaben allein auf dem deutschen Markt zu haben, außerdem sind Blu-Ray- und HD-DVD-Ausgaben erschienen.




Peter Bossen macht uns hier das Leben in der Kinoprovinz erträglich, stellt er uns doch einen riesigen Filmschatz zur Verfügung, der die Armseligkeit des Kinoangebots in Hamburg ein wenig ausgleicht. Er hat seit 1993 eine gigantische und fantastisch sortierte öffentliche Film- und Videobibliothek aufgebaut und leitet sie auch noch heute.

Erst wurde sie als eigenständige Bibliothek in den Zeisehallen (Fotos) betrieben; heute ist sie eine Abteilung der Zentralbibliothek. Im Bestand sind über 10.000 DVDs und noch 3500 Videos; die genaue Zahl der Titel ist nicht erfasst, dürfte aber nur geringfügig kleiner sein, da fast ausschließlich Einzeltitel angeschafft werden.

Beim Besuch der Räume am Hühnerposten gewinnt man nicht wirklich einen Eindruck von der Fülle des Angebots, denn durchschnittlich stehen nur ca. 20% des Bestandes in den Regalen, der Rest ist entliehen oder unterwegs. Als Teil der Hamburger Öffentlichen Bücherhallen mit Standorten überall in der Stadt und einem gemeinsamen Katalog werden vorbestellte DVDs ständig von Nutzern gegen ein Entgelt von jeweils 1,50 EUR zur Bücherhalle um die Ecke bestellt. Die Ausleihzeit beträgt eine Woche, liegen keine weiteren Vormerkungen vor, lässt sie sich noch zweimal verlängern. Paradiesische Zustände für alle, die wissen, was sie wollen: Online im Katalog Film und Abholort anklicken und warten, bis einem per Post oder Mail mitgeteilt wird, dass das Medium eingetroffen ist und dann in aller Ruhe den Film angucken, wenn's einem passt; geht das noch besser?

Im Bestand ist alle gängige Film- und Serienkost (für Box-Sets werden übrigens auch nur jeweils 1,50 EUR Vormerkgebühr fällig), die auf dem deutschen Markt erscheint, bis auf Komplettschrott und Slasherflicks, versteht sich.

Darüber hinaus sind aber auch unfassbare Mengen von DVDs im Bestand, die irgendwo anders auf der Welt veröffentlicht wurden und die hierzulande sonst nirgendwo verfügbar sind. Takeshi Kitanos Filme standen schon als VHS-Kassetten aus Japan und Großbritannien in den Zeisehallen im Regal, Jahre bevor das erste Mal ein Film von ihm in unseren Kinos auftauchte. Jetzt ist alles wieder vorbei; die letzten drei Filme Kitanos haben wieder keinen Verleih mehr gefunden bei uns. Nicht so schlimm: Auf Peter Bossen und sein Team ist Verlass. Und wenn wirklich einmal etwas Interessantes nicht im Katalog steht, kann man hier seinen Anschaffungswunsch äußern, und wenn der Vorschlag nicht völlig abwegig ist, steht der gewünschte Film bald zur Ausleihe bereit.

In den Zeisehallen war das Prozedere noch viel sympathischer: Da lag immer das große Buch, in das die Nutzer handschriftlich ihre Wünsche eintrugen. Alle paar Wochen hat sich Peter Bossen dann hingesetzt und ist es geduldig Eintrag für Eintrag durchgegangen und hat alles, wirklich alles beantwortet ("haben wir schon", "wollen wir nicht", "nicht auf DVD veröffentlicht", wird angeschafft!")
Das Angebot privater Videotheken – es sei denn sie sind so ambitioniert wie das Videodrom (sowas haben wir in Hamburg aber ohnehin nicht) - kann da nicht mithalten, unter anderem auch, weil das nicht unerhebliche Angebot an reinen Kauf-DVDs für sie unerreichbar ist.

Und wie ist das in Berlin, wo doch immer alles besser ist? Der Bestand an Filmmedien in der dortigen "Amerika-Gedenkbibliothek" ist noch größer, 25.000 DVDs sollen es sein; jedoch werden da auch sämtliche so genannten Sachfilme (Reisevideos, Sprachlehrfilme etc.) eingerechnet, und es soll viel häufiger mehrere Exemplare pro Titel geben. Die Verfügbarkeit dürfte angesichts der größeren Einwohnerzahl entsprechend geringer sein. Die Onlinesuche im Katalog gestaltet sich vergleichsweise mühselig. So mühselig, dass ich aufgegeben habe, im Wust der Suchergebnisse ein paar Stichproben für einen Bestandsvergleich zu machen.

Peter Bossen: "Eine andere öffentlich zugängliche Bibliothek mit dem Schwerpunkt Film und einem Medienbestand, der unserem in Quantität und Qualität gleich kommt, ist mir nicht bekannt." Und zwar auch nicht international. "Ein amerikanischer Kunde hat uns einmal gesagt: 'I wish, we had a place like this in San Francisco'. Da waren wir schon ein bisschen stolz."


Und ein Film, den wir glücklicherweise nicht gesehen haben:

Für Malcolm McDowell war Alex die Rolle seines Lebens. Der Mann hat später in unzähligen mittelmäßigen bis schlechten Filmen gespielt und offenbar auch so ziemlich jede Nebenrolle in Fernsehproduktionen angenommen, die ihm angeboten wurde. Die eine Ausnahme hat Peter Bossen oben schon erwähnt. Seinen größten und prestigeträchtigsten Auftritt seit Jahrzehnten hatte er vor zwei Jahren im HALLOWEEN-Remake. Im unvermeidlichen Sequel des Remakes wird er auch wieder dabei sein.
GARDEN OF EVIL aka THE GARDENER aka SILENT SCREAMS aka DIE BLUMEN DES BÖSEN scheint ein besonders tief liegender Punkt in McDowells qualitativer Tiefebene zu sein: Er spielt einen Mann, der schöne Frauen umbringt, um aus ihren Leichen schöne Pflanzen zu machen. "Völlig humorlos, schlecht gespielt und miserabel inszeniert", urteilt das Filmlexikon.



Umsonst und zuhause:


Am Donnerstag:

MASTER AND COMMANDER ist ein hübsch altmodisches Seestück von Peter Weir von 2003. Großes Abenteuerkino ohne Special-Effects-Bombast, liebevoll ausgestattet, gut gespielt und toll gefilmt. Mit Russel Crowe. Um 20.15 auf Vox. ShowView 4.979.414



Auch am Donnerstag:

Jean-Louis Trintigant als komplexbeladener Mitläufer bei den italienischen Faschisten. Bernando Bertoluccis mit Abstand bester und einflussreichster Film. Vielschichtig und weit entfernt von späteren Plattheiten und Peinlichkeiten des Regisseurs. DER KONFORMIST auf 3Sat um 22:25 Uhr, ShowView 14.241.292


Auch am Donnerstag:

Der Regisseur Alan Rudolph wurde vom Feuilleton in den Achtzigern schwer verehrt. Ich konnte allerdings mit der stilisierten, seltsam glatten und artifiziellen Machart seiner Filme überhaupt nichts anfangen. Ein imdb-User meint, dass die Größe von zum Beispiel TROUBLE IN MIND erst beim dritten Anschauen sichtbar werde. Vielleicht sollte ich dem Drama mit Kris Kristofferson nach so vielen Jahren zumindest eine zweite Chance geben. Ist vielleicht mehr was für alte Säcke. Wie Country. TROUBLE IN MIND im Ersten um 02:10 Uhr, ShowView 1.686.099



Am Freitag:

Der erste Streich von WATCHMEN-Regisseur Zack Snyder. Ein Remake von George A. Romeros legendärem Original von 1978. Snyders Neufassung soll gar nicht so übel sein. Wohl immerhin besser als alles andere, was von der Horror-Remake-Welle angeschwemmt wurde in den letzten Jahren. DAWN OF THE DEAD auf RTL2 um 23:00 Uhr, ShowView 154.475


Auch am Freitag:

Das Original, nicht das unnötige US-Remake, das Michael Haneke letztes Jahr selber verzapft hatte. Ulrich Mühe, Susanne Lothar, ihr Kleiner und die Zuschauer müssen leiden. Für alle, die am Freitagabend eh keine gute Laune zu verlieren haben. FUNNY GAMES auf Tele5 um 23:50 Uhr, ShowView 5.243.780



Auch am Freitag:

Ein Vampirfilm mit Catherine Deneuve als Blutsaugerin und einem entsprechend blutleeren David Bowie, den die Maske hier beindruckend und rapide altern lässt. Der angeberische, werbliche Hochglanzstil hat mich beim ersten Sehen beeindruckt und beim zweiten entsetzt. Schau ich mir das nochmal an? Oh Gott, so waren die Achtziger. Im Vorspann läuft "Bela Lugosi's Dead" von Bauhaus. Das ertrage ich heute nur noch in dieser Version.
BEGIERDE im Ersten um 01:30 Uhr, ShowView 5.896.281


Am Samstagmittag:

Damals, kurz nach dem Meisterwerk BRAZIL, war ich eher enttäuscht. Beim Wiedersehen kürzlich hat mir der Film aber sehr gefallen. Terry Gilliams DIE ABENTEUER DES BARON MÜNCHHAUSEN ist ein prachtvoll absurdes Spektakel, das nicht mehr viel mit überlieferten Lügenbarongeschichten zu tun hat, aber viel mit Gilliams Spleens und besonderen Vorlieben. Kann man schön beim Frühstück gucken: Um 12:15 Uhr auf Tele5, ShowView 4.348.736



Auch am Samstag:

LAST LIFE IN THE UNIVERSE erzählt eine unkonventionelle Liebesgeschichte und wurde viel gelobt für seine Schönheit und Feinsinnigkeit. Aus Thailand, von 2003. Der doofe Fernsehtitel: "Leben und Sterben in Bangkok". Im WDR um 00:00 Uhr, ShowView 5.779.331


Am Sonntagmorgen:

Sowohl der Roman von William Goldman als auch diese Filmversion haben in den USA eine treue Anhängerschaft. Hierzulande sind beide fast Geheimtipps geblieben, weshalb der Film auch meist nur zu so beknackten Zeiten ausgestrahlt wird. Sehr vergnüglich und einzigartig in seiner Mischung aus ernsthaftem Märchenton und ironischer Distanz. Und übrigens in der Liste der 250 höchst bewerteten Filme bei imdb. Wer noch nie was davon gehört hat, sollte noch besser mit dem Buch anfangen, am besten in der schönen Hörbuchfassung, gelesen von Jochen Malmsheimer und Bela B.
DIE BRAUT DES PRINZEN, nach der "klassischen Erzählung von wahrer Liebe und edlen Abenteuern", so der Untertitel des Romans, um 13:30 Uhr auf Tele5, ShowView 2.280.066


Auch am Sonntag:

Der düstere Michael-Haneke-Film von 2003, mit Isabelle Huppert und Béatrice Dalle. Alles gerät aus den Fugen, und man erfährt nicht einmal, warum. WOLFZEIT im Ersten um 23:35 Uhr.


Auch am Sonntag:

Wie gerne würde ich mal wieder die großen Filme von Lina Wertmüller sehen! Filme wie LIEBE UND ANARCHIE oder MIMI, METALLARBEITER, IN SEINER EHRE GEKRÄNKT wurden immer noch nicht außerhalb von Italien mit verständlichen Untertiteln auf DVD veröffentlicht, und im Fernsehen sind sie auch schon ewig nicht mehr gezeigt worden. DIESMAL SPRECHEN WIR ÜBER MÄNNER ist ein früher Film von ihr, von 1965 und noch recht konventionell. Die Männer, über die gesprochen wird, werden alle von Nino Manfredi gespielt. Im Ersten um 01:30 Uhr, ShowView 9.414.101


Wie immer gibt es außerdem noch viele weitere sehenswerte und wohlbekannte Filme im Programm, beispielsweise BRASSED OFF; DER MANN, DER LIBERTY VALANCE ERSCHOSS; LOLITA (1962); IM DUNKEL DER NACHT; CONVOY; EINE FRAUENSACHE; EIN GOLDFISCH AN DER LEINE; CATCH 22; ADEL VERPFLICHTET; BEKENNTNISSE DES HOCHSTAPLERS FELIX KRULL; EASY RIDER; VERDAMMT IN ALLE EWIGKEIT; EINE EINFACHE GESCHICHTE; DER ROSAROTE PANTHER: EIN SCHUSS IM DUNKELN; 12 MONKEYS; GESPRENGTE KETTEN; DER LIEBHABER und 2001: ODYSSEE IM WELTRAUM. Wer suchet, der findet.
Über eine Schülervorstellung von Kubricks Film auf der Berlinale neulich hat Stephan Höltgen im EPD-Blog einen schönen Text geschrieben. Wurde viel verlinkt, aber vielleicht hat ja jemand von Euch nix davon mitbekommen.

Wer die Fernsehtipps lieber häppchenweise, an den jeweiligen Ausstrahlungstagen lesen will, wechselt zur Fernsehprovinz.



Eine Googleabfrage, die letzte Woche jemanden aus Würzburg auf diese Seiten führte: "Schweinfurt Anektoden".


3 Kommentare:

  1. 1) Dem Lob für den "Knochenmann" kann ich mich voll und ganz anschließen.
    2) "The Princess Bride" ist einer der ewigen Lieblingsfilme meiner (amerikanischen) Frau, und nachdem sie mich endlich mal dazu hatte überreden können, ihn zu gucken, hat mir dann auch sehr gut gefallen.
    3) Am Sonntagabend würde ich mir gerne "35 Rum" anschauen (um 19 Uhr im 3001). Wer kommt mit?

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  2. Danke für deinen Blog - habe ihn jetzt seit mehreren Wochen abonniert und brauche keinen anderen Kino-Blog mehr. :-)

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  3. Ich finde, es gibt erstaunliche Parallelen zwischen Klaus Kinski und Malcolm McDowell – nicht nur, was die bedrohliche Ausstrahlung beider Mimen angeht, sondern auch hinsichtlich des krassen Missverhältnisses zwischen der Handvoll guter und dem gewaltigen Berg grottiger Filme, in denen beide mitwirkten.

    Aber bestimmt gibt es darüber schon längst feuilletonistische Expertisen ohne Ende, und ich habe sie nur noch nicht mitbekommen.

    Andreas, ich neige eher zu „Dawn of the Dead“ am Samstag im B-Movie. Gibt es dafür Interessenten?

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