Ein singender Schlitzer, eine Familie von Bullen und alles über Staub

Woche 8/2008


Tim Burton meldet sich zurück, der Regisseur, dem es gelingt, über mittlerweile 2 1/2 Jahrzehnte hinweg, mitten im Studiosystem Hollywoods, in seinem ganz persönlichen Gothic-Stil, düstere, komische und hochartifizielle Filme zu machen. Ein sympathischer Kindskopf, der für die Realisierung seiner spleenigen Kunstwelten regelmäßig Millionen zur Verfügung hat. Bemerkenswert dabei ist vor allem, dass die Stoffe höchst unterschiedlich sein können, egal ob eine Kindergeschichte von Roald Dahl oder ein DC-Superhelden-Comic die Vorlage ist, es kommt in der Regel echter Burton raus. Da schreckt es mich auch nicht, dass SWEENEY TODD, sein aktueller viktorianischer Slasher-Schocker, gleichzeitig ein Musical ist, obwohl Musicals gemeinhin das Schlimmste sind, was einem auf Bühne oder Leinwand begegnen kann.
Dass die Darsteller größtenteils, allen voran Johnny Depp und Helena Bonham Carter, die Kunst des Singens nicht sonderlich beherrschen, soll angeblich eher von Vorteil sein, eine begrüßenswerte Störung der perfekten Inszenierung.

Burton hat früher schon den Beweis erbracht, dass es möglich ist Musicals zu machen, die gut erträglich sind: In A NIGHTMARE BEFORE CHRISTMAS, dem liebevoll zusammengebauten Stop-Motion-Film von 1993, wurde auch schon verdammt viel geträllert.

Und wo wir schon dabei sind: Bereits 1982 hat Burton für Disney dieses Stop-Motion-Kleinod fabriziert:

SWEENEY TODD läuft in den Multiplexen.


HELDEN DER NACHT ist der doofe Titel eines höchstwahrscheinlich guten Räuber-und-Gendarm-Films, der im New York der späten 80er spielt. James Gray hat Regie geführt, die beiden anderen Filme, die er in den letzten 15 Jahren gemacht hat sind LITTLE ODESSA und THE YARDS. Und auch diesmal spielen Familienbande eine Rolle, wenn die Protagonisten in den blutigen Strudel der Handlung gezogen werden. Mit Joaquin Phoenix, Mark Wahlberg und Robert Duvall. Und Eva Mendes. Schlimmstenfalls wird es vielleicht etwas zu metaphernschwer, wen das nicht schreckt und wer auch kein Problem mit der Kombination aus Geballer und Schicksalsschwere hat, für den lohnt sich ein Kinobesuch auf jeden Fall. Nicht zuviel Zeit lassen: Läuft nur im Cinemaxx und im UCI Othmarschen.


Außerdem neu: ein Dokumentarfilm zum Thema STAUB. Hartmut Bitomsky nähert sich den kleinen Partikeln unter naturwissenschaftlichen, philosophischen, politischen und ästhetischen Aspekten. Naja, warum nicht? Vielleicht folgt demnächst auch noch ASCHE. DRECK. Und KOT. Oder BLUT. SCHWEISS. Und TRÄNEN. Ist bestimmt alles, nur nicht dumm und läuft nur diese Woche abends im 3001.


Nichts gegen die Romanvorlage, aber der Film DIE LIEBE IN DEN ZEITEN DER CHOLERA scheint ein übler und unnötiger Kostümschinken zu sein, um den man einen großen Bogen machen sollte. Läuft im Studio OmU, außerdem im Streits, im Cinemaxx Wandsbek und in den UCI-Multiplexen.



Außerdem und weiterhin:




THERE WILL BE BLOOD im Abaton OmU, außerdem im großen Passage. Hier die Dankesrede von Daniel Day-Lewis bei der Verleihung der SAP Awards, gefunden bei From Beyond. ("I´d like to dedicate this to Heath Ledger") Mal sehen ob am Sonntag noch ein Preis dazu kommt. Noch schöner wär´s allerdings, Viggo Mortensen würde ihn kriegen.
Gestern war ich drin und war begeistert: Großartig fotografiert, großartige Musik großartig eingesetzt, großartige Dialoge vorgetragen von großartigen Darstellern. Mit Szenen, von denen ich weiß, dass ich sie nie mehr vergessen werde. Meine Begleiter A und T waren weniger angetan: Die erste Hälfte sei ja ganz gut, aber dann bekomme man zu wenig Informationen über die Ölindustrie, der zwielichtige Charakter der Hauptfigur bleibe unverständlich, Daniel Day-Lewis würde aufs Schlimmste chargieren und überhaupt verliere der Film im Verlauf immer mehr an Überzeugungskraft. Ich hoffe, ich werde nicht auch angesteckt mit diesem Virus, der sensationellste Spektakel fad erscheinen lässt.

DARJEELING LIMITED im Passage, im Zeise spät und am Montag auch im Cinemaxx Harburg.

DAS WAISENHAUS im 3001 OmU und in einigen Multiplexen: Im Cinemaxx, im UCI Mundsburg und im UCI Wandsbek.

DER KRIEG DES CHARLIE WILSON im Grindel (OmU). Die deutsche Fassung läuft in einigen Multiplexen und im Koralle (Vorsicht: Da könnte es eine miserable Digitalprojektion geben).

I AM LEGEND nur noch spät am Wochenende im Cinemaxx Wandsbek.

CLOVERFIELD nur noch spät im UCI Othmarschen und im UCI Wandsbek, am Wochenende auch im Cinemaxx Harburg und im Grindel OF .



Umsonst und zuhause:


SOMMER VORM BALKON für alle, die den Film bislang verpasst haben, am Donnerstag um neun Uhr auf arte. Regie führte Andreas Dresen, einer der wenigen, die es verlässlich schaffen, gute Filme im Land der schlechtesten Filme der Welt zu machen. Das Drehbuch ist vom alten DEFA-Recken Wolfgang Kohlhaase, eine schöne Verbindung zu früheren Ausnahmen von der Friebe-Regel.


Später, in der Nacht von Donnerstag auf Freitag, noch einmal das seltsame Pornomusical DAS FLEISCH DER WASSERMELONE von Tsai Ming-Liang auf arte um 01.05 Uhr.


In der Nacht von Freitag auf Samstag zeigt arte den Erstling von Kim Ki-Duk von 1996, den gab´s bei uns bislang weder im Kino noch auf DVD zu sehen: CROCODILE, um 0.05 Uhr.


Am Samstag kann man noch mal Daniel Day-Lewis in seiner ersten großen Rolle als Bösewicht sehen, in Scorseses GANGS OF NEW YORK. Auf Pro7 um 20.15 Uhr.


Später auf auf Pro7 der letzte Film von P.T. Anderson vor THERE WILL BE BLOOD. In der Nacht von Samstag auf Sonntag um 1.30 Uhr läuft der überaus komische PUNCH-DRUNK LOVE.


Am Sonntag dann auf Pro7 Spielbergs KRIEG DER WELTEN um 20.15 Uhr. Seltsam so ein Film, Jahre nach Tim Burtons MARS ATTACKS.


Am Dienstag um 23.35 zeigt BR3 DIE FRAU DES LEUCHTTURMWÄRTERS noch einmal für alle, die die schöne Ehebrecherin Sandrine Bonnaire noch nicht in diesem Film gesehen haben.


Einen russischen Film, der am Ende des "großen vaterländischen Krieges" spielt, in dem deutsches Geld steckt und in dem die Deutschen offensichtlich relativ gut bei wegkommen zeigt arte am Mittwoch um 22.45: POLUMGLA.


Außerdem am Mittwoch: VELVET GOLDMINE, von I´M-NOT-THERE-Regisseur Todd Haynes auf BR3 um 23.40 Uhr. Am folgenden Tag startet der Dylanfilm endlich auch bei uns.


In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag um 00.20 Uhr schließlich läuft ein vielversprechendes australisches Coming-Of Age-Drama: DAS GEHEIMNIS DER ALIBRANDIS.



Dies und das:


Ich erhalte aus Gründen, die ich hier nicht weiter erläutere, täglich den Tagesspiegel. Das Berliner Blatt leistete sich während der Filmfestspiele Tag für Tag eine vierseitige Extra-Beilage mit, unter anderem, einer täglichen Martenstein-Kolumne. Aber absurderweise enthält es seinen Lesern im zweiten Jahr in Folge nach erst ausgiebigster Berichterstattung die Ergebnisse der Bärenvergabe zum Schluss vor. Am Sonntag war nix drin. Und am Montag auch nicht. Kein Wort.
Sehr seltsam. Wahrscheinlich betrifft es nur die Bundesausgabe und die hat eine so kleine Auflage, dass deren Leser dem Verlag einfach wurscht sind. Oder denen ist der exakt gleiche Fehler wirklich noch einmal
passiert.
Für Tagesspiegel-Leser und alle anderen, die nichts mitkriegen, hier noch einmal die Preisträger.

Die Berliner sollen wieder in Scharen in die Vorstellungen gelaufen sein, reihenweise waren Vorstellungen ausverkauft, ein Unterschied zu Cannes und Venedig, wo das Fachpublikum stärker unter sich bleibt.
Für die Kinogänger ist der gefeierte Erfolg beim Publikum eigentlich ein Ärgernis, macht es die Jagd auf Karten doch zu einem frustrierend oft misslingendem Unterfangen. Einerseits gibt es (im Forum und im Panorama) massenhaft Filme im Programm, die man sonst nirgendwo zu sehen kriegen könnte, andrerseits kommt man nur mit viel Mühe, Glück und Schlangestehen am Ticketschalter
im Einkaufszentrum (auch bei Online-Reservierung) wirklich in die gewünschten Vorstellungen. Ich staune darüber, dass sich so viele auf das nervige Spiel einlassen. Wenn dann einige Schätze aus exotischen Filmländern wirklich später einen Verleih kriegen und in die Kinos kommen, geht dann aber wieder keiner hin.

Schön unkompliziert war es nur einmal: 1990 wurden kurzfristig zusätzliche Vorstellungen aus allen Sparten in Ost-Berlin gezeigt, da wurde mit großer Geste ein kulturelles Füllhorn des Westens über den Brüdern und Schwestern in der zusammenbrechenden DDR ausgeleert. Die guckten jedoch lieber Schaufenster im Westen statt Filme
im Osten an. Und die Westberliner blieben wie die Karnickel zaghaft auf ihrer Seite hocken, die ganzen Journalisten ebenso, so dass unbefangene Westdeutsche wie ich uns alles angucken konnten, was wir wollten, nichts war ausverkauft, selbst in die Ost-Wiederholung des Eröffnungsfilms mit den Gästen Sally Fields, Shirley MacLaine und Julia Roberts kam man problemlos rein. Das war aber leider ein Scheißfilm: MAGNOLIEN AUS STAHL. Der Eintritt für die Vorstellungen in den Prachtsälen International, Kosmos und Colloseum war nominell genauso hoch wie im Westen, wurde aber in Ostmark entrichtet, direkt an der Kinokasse. Und eine Ostmark bekam man auf der Straße für 10 Pfennige. Ich war von morgens bis nachts im Kino. So machte der Untergang des sozialistischen Nachbarlandes viel Freude.


Die schönste Googleabfrage, die letzte Woche jemanden auf diese Seiten führte: "wie heisst das scharfschützengewehr in john rambo"


Kinos Folge 15: Das Neue Off in Berlin, eines der schönsten Kinos der Stadt.

1 Kommentar:

  1. Volle Zustimmung bei „There will be blood“. Allein die Verbindung von Johnny Greenwoods beängstigender Musik mit der Wucht der Panoramabilder ist unvergesslich.

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