Alte Männer und ein Sänger, der nicht da ist

Woche 9/2008


"Danke an alle, die uns weiter in unserer Ecke vom Sandkasten spielen lassen", sagten die Coens am letzten Sonntag beim Oscareinsammeln. Zum Glück spielen sie wieder. Zwischenzeitlich musste man den Eindruck gewinnen, sie seien erwachsen geworden und es ginge jetzt ums Geldverdienen. Denn vor der mehrjährigen Schaffenspause hatten sie den Sandkasten verlassen für eine weichgespülte, konventionelle "romantische Komödie" und ein völlig unnötiges und uninspiriertes Remake von LADYKILLERS:

LADYKILLERS
2003
EIN UNMÖGLICHER HÄRTEFALL, 2003

Das sah so aus, als wenn es das gewesen wäre. Keine eigenwilligen, cleveren und komischen Genrestücke mehr, die sie vorher in Reihe gefertigt hatten:

THE MAN WHO WASN´T THERE, 2001
OH BROTHER, WHERE ART THOU?, 2000
THE BIG LEBOWSKI, 1997
FARGO, 1996
HUDSUCKER, 1994
BARTON FINK, 1991
MILLERS CROSSING, 1989
ARIZONA JUNIOR, 1986
BLOOD SIMPLE, 1984

NO COUNTRY FOR OLD MEN ist ein verlangsamter Thriller, gedreht im staubigen Texas mit Tommy Lee Jones, Javier Bardem und Josh Brolin in den Hauptrollen. Am Anfang steht ein Koffer voller Geld und ein Haufen Drogen und ich erwarte, dass die Coens hier unter Verwendung der üblichen Versatzstücke wieder ein Meisterwerk zusammengebaut haben, das die Grenzen des Genres weit hinter sich lässt. Musik spielt diesmal keine große Rolle, was ich normalerweise eher begrüße, bei den Coens aber bedaure: Ob Motown-Songs bei BLOOD SIMPLE, der orchestrale Score bei Fargo oder Dylan im BIG LEBOWSKI, oft hat die Musikauswahl maßgeblich zum kompletten Gelingen beigetragen.

Letztes Jahr wunderte ich mich bereits darüber, dass die Acadamy Awards an Filme gingen, die ich gar nicht uninteressant fand und stellte mir die Frage, ob sich mein Geschmack in Richtung Mainstream oder aber die Oscarjury sich weg davon bewegt habe. Eine Antwort habe ich natürlich nicht bekommen, dieses Jahr setzt sich jedenfalls der Trend fort. Statt der bislang üblichen Filme mit Riesenbudget und Zwergenanspruch räumen jetzt Filme wie NO COUNTRY FOR OLD MEN ab. (Gewohnt schrecklich ist immerhin der ausgezeichnete "original song", der stammt allerdings aus einem europäischen Billigfilm mit DV-Kamera, statt aus einem Disneyschem Singspiel) Dass die Fernsehübertragung in den USA übrigens die geringste Einschaltquote hatte, die es bei Oscarverleihungen jemals gab, spricht dafür, dass es nicht mein Geschmack ist, der sich bewegt hat.

Noch ein Hinweis: Von Ethan Coen gibt es eine Kurzgeschichtensammlung, die lauter hübsche kleine Miniaturen enthält, die vom gleichen trockenen Witz geprägt sind wie die Filme der Brüder. Lieferbar auf deutsch, im Original nur noch antiquarisch.
Die Vorlage für NO COUNTRY von Cormac McCarthy erscheint demnächst auf deutsch, englische Ausgaben gibt es bereits als Taschenbuch.

NO COUNTRY FOR OLD MEN läuft im Abaton OmU, außerdem im großen Passage mit der einzigartigen Klappleinwand, im Zeise, im UCI Mundsburg und im Koralle (Vorsicht: Da könnte es ein miserable Digitalprojektion, "Digitale Delikatessen", geben).


Bei uns in der Kinoprovinz starten nicht nur viele kleinere Filme gar nicht, neuerdings kommt es auch vor, dass ein größerer Film vom Verleiher erst mit Verspätung in die Provinz geschickt wird: I´M NOT THERE läuft in Berlin schon seit einer Woche. Nur der Soundtrack mit eher unspektakulären Coverversionen ist schon lange überall angekommen und dudelt in jedem Café.
Jetzt startet also das Biopic für Biopic-Hasser auch bei uns.
Ich bin sehr gespannt, denn bei diesem Film über Bob Dylan werden die Grundprobleme des Genres auf bestechende Weise umgangen oder gelöst.

Langweilig an Biopics ist das Anpassen von chaotischen echten Lebensläufen an eine konventionelle Spielfilmdramaturgie mit den bei Musikern oft ähnlichen Ereignissen, auf die ihr Leben verkürzt wird. In I´M NOT THERE wird das einfach vermieden, indem auf eine konventionelle Dramaturgie komplett verzichtet wird, stattdessen gibt es ein Puzzle aus höchst unterschiedlich gestalteten Episoden. Statt dämlicher Vereinfachungen wird ein komplexes Dickicht konstruiert. Und die allbekannten biographischen Fakten werden nicht stumpf bebildert sondern als Spielmaterial benutzt. Da kann Dylan beispielsweise bei seinem Motoradunfall 1966 auch einfach ums Leben kommen. Ups, das war ein Spoiler, ich bitte um Entschuldigung.

Lächerlich an Biopics ist der immer zum Scheitern verurteilte Versuch, eine allseits bekannte Person mit einem Schauspieler zu kopieren. Dieser Film sagt: geht natürlich nicht, ist uns klar und damit bloß keiner auch nur einen Moment darauf kommt, wir wollten dämlicherweise versuchen so dicht wie irgend möglich dranzukommen, nehmen wir gleich 6 Schauspieler unterschiedlichen Geschlechts und unterschiedlicher Hautfarbe, die Dylan in diesem Film verkörpern: Christian Bale, Ben Whishaw, Heath Ledger, Richard Gere, Marcus Carl Franklin und Cate Blanchett.
Peinlich an Biopics ist die Glorifizierung der jeweiligen Musikanten oder sonstiger Berühmtheiten und auch da scheint I´M NOT THERE ungewöhnliche Wege zu gehen: Die diversen Dylans geben wohl auch jede Menge Stuss von sich, besonders Richard Gere, der die Jesusphase abgekriegt hat.
Fern vom Kino wird die Glorifizierung Dylans seit geraumer Zeit von allen und auf allen Kanälen betrieben, er wird zu einer Art Heiligem des Feuilleton. Nicht nur seine eher durchwachsenen Alben der letzten Jahre werden uneingeschränkt bejubelt, auch so richtige Scheiße wie das hier wird als Offenbarung begrüßt. Wie schön, dass da nicht, wie es zu erwarten gewesen wäre, der übliche Biopic-Mist noch hinterherkommt, sondern das Wunder eines intelligenten Films in einem strunzdummen Genre. Da haben wir und da hat er Glück gehabt. Aber seiner Bobness ist es wahrscheinlich eh wurscht. Läuft im Abaton OmU, außerdem im Zeise immer dann auf deutsch, wenn gerade keiner singt.

Als ich mich neulich schon einmal über Biopics ausgelassen habe, schrieb ich "Ich würde mich vielleicht auch für ein neues Elvis-Biopic als Stopmotionproduktion interessieren, mit Knetmännchen oder Legofiguren." Das war ein Witz, allerhöchstens ein frommer Wunsch, aber eben habe ich entdeckt, dass NOT-THERE-Regisseur Todd Haynes so etwas ähnliches schon mal gemacht hat: Ein Biopic über die Carpenters mit Barbiepuppen. Unglaublich. Hier sind Links zum Download und Livestreaming von SUPERSTAR. Noch "illegaler" als sonst, der Film darf seit 18 Jahren nicht mehr gezeigt werden.



Ich habe schon Schelte bezogen, weil ich in letzter Zeit "alles immer großartig" fände, aber glaubt mir, es liegt nicht an mir, es kommt in diesen ersten Monaten des Jahres einfach ein Haufen guter Filme in die Kinos.
MICHAEL CLAYTON gehört auf jeden Fall dazu. "Dabei ist Tony Gilroys Anwaltsthriller, in dem George Clooney den Titelhelden „Michael Clayton“ spielt, einer der interessanteren Vertreter seines Genres. Im Dickicht eines Prozesses gegen einen Nahrungsmittelkonzern verliert einer der Anwälte (Tom Wilkinson) die Nerven, und Clooney wird von der Kanzlei geschickt, den Mann zur Räson zu bringen. Als Mann für alle Fälle hat er allerdings genügend eigene Probleme, hat Spielschulden und Geldeintreiber am Hals, deren Fristen ihm wenig Spielraum lassen, eine Sache in Griff zu kriegen, die bei näherer Betrachtung immer weitere Kreise zieht. Gilroy gelingt es dabei, das Milieu der Grisham-Romane mit dem Blick der paranoiden Thriller der siebziger Jahre zu durchleuchten, und er hat vor allem die Schauspieler, die den Film in jedem Moment tragen: Tilda Swinton als skrupellose Anwältin der Gegenseite, die nur auf der Damentoilette ihre eisige Fassade fallen lässt; Wilkinson als depressiver Jurist, dem die Sicherungen durchbrennen; Sydney Pollack als diabolischer Chef; und Clooney, der auch dann fasziniert, wenn er keinen Siegertypen spielt." Schrieb Michael Althen letztes Jahr für die FAZ aus Venedig.
MICHAEL CLAYTON läuft in den Multiplexen.



So beschwingt geht INSIDE MAN los. Der kluge Thriller von Spike Lee hat nichts mit Bollywood oder Indien zu tun und der Song zu Beginn also nichts mit dem Film. Das ist irrritierend und wunderschön. Und die folgende Bankraubgeschichte ist auch nicht übel. Jetzt überraschenderweise noch einmal im 3001.


Am Dienstag um 19.00 Uhr zeigt das Zeise in einer Preview anlässlich seines 15. Jubiläums den neuen Film von Michel Gondry, BE KIND REWIND, der erst im April seinen offiziellen Starttermin hat. Ein verspielter und wohl auch ein wenig kitschiger Film, der der Ära der VHS-Kassetten nachweint und die Bemühungen zweier Nerds zeigt, den Filmbestand einer Videothek nach selbstverschuldetem Totalschaden selber nachzudrehen. Gondry war das auch mit ETERNAL SUNSHINE ON A SPOTLESS MIND und SCIENCE OF SLEEP.


8 BLICKWINKEL ist ein nicht uninteressanter Thriller: Hier wird nach dem RASHOMON-Prinzip die Geschichte eines Attentats aufgesplittert. Eine gut geklaute Idee aber ein mittelmäßiger Film, der offensichtlich daran krankt, dass es am Ende doch die eine Wahrheit gibt, die auch noch an den Haaren herbeigezogen ist, wenn man den Kritiken glauben kann. Läuft in den Multiplexen und im Grindel OF.


Außerdem und weiterhin:


THERE WILL BE BLOOD im Abaton OmU, außerdem im großen Passage und neuerdings auch in einem Multiplex, im UCI Wandsbek. Hier die jüngste Dankesrede von Daniel Day-Lewis vom letzten Sonntag. Etwas manipuliert.

DARJEELING LIMITED im Holi, von Sonntag bis Dienstag im erfreulicherweise wiedereröffneten Fama und am Mittwoch im Koralle.

SWEENEY TODD läuft in fast allen Multiplexen, im Grindel OF.

HELDEN DER NACHT im Cinemaxx.

DAS WAISENHAUS im 3001 OmU und im Cinemaxx.

DER KRIEG DES CHARLIE WILSON im Grindel (OmU) und im Cinemaxx.


Umsonst und zuhause:


Am Donnerstag zeigt 3Sat DIE RÜCKKEHR. Fantastische Kamera, sehr atmossphärisch, darf man aber nicht zu lange drüber nachdenken. Hat 2003 in Venedig gewonnen. Regie: Andrei Zvyagintsev. Um 22.25 Uhr.



In der Nacht von Freitag auf Samstag erlebt Schlingensiefs zweiter Film MENÜ TOTAL von 1985 seine TV-Premiere. Mit Zombies, Kannibalen und Helge Schneider als Hitler (das erste Mal), mit Alfred Edel und dem damaligen Hamburger Staatsanwalt und Filmkritiker Dietrich Kuhlbrodt, von dem man hier etwas über diesen und die anderen Schlingensieffilme lesen kann.
Auf arte um 00.35 Uhr.


Einen der schönsten, lustigsten und blutigsten Gebrüder-Coen-Filme zeigt Tele5 noch einmal in der Nacht von Samstag auf Sonntag um 3.30 Uhr: FARGO.


Am Sonntag läuft auf RTL ein sentimentaler Frauenfilm von Curtis Hanson: IN DEN SCHUHEN MEINER SCHWESTER um 20.15 Uhr. Mit Cameron Diaz und Toni Collete. Ist wohl nicht schlecht, "aber man weint sozusagen unter seinem Niveau", schrieb Michael Althen in der FAZ.


Mike Leighs ALL OR NOTHING von 2002 im Ersten in der Nacht von Sonntag auf Montag um 1.40 Uhr.


Am Montag zeigt das ZDF den Psychothriller LEMMING von Dominik Moll. Mit zwei Charlottes, Rampling und Gainsbourg. Um 22.45 Uhr.


Am Dienstag läuft dann noch ein französischer Film, von Patrice Leconte, auf BR3 um 23.35: INTIME FREMDE von 2004, mit Sandrine Bonnaire.



Kinos Folge 16, der Gloria-Palast in Cuxhaven


Die schönste Googleabfrage, die letzte Woche jemanden auf diese Seiten führte: "deutsche Film über Königinnen"

4 Kommentare:

  1. Ist das nicht absurd: Momatelang kommt so gut wie gar nichts Interessantes (kommt mir jetzt jedenfalls im Rückblick auf die letzten Monate des vergangenen Jahres so vor), und dann laufen an einem Tag mindestens drei Filme an, die man absolut sehen muss (und die vielleicht sogar ich gut finde). Das wird stressig.
    Ansonsten: Vielen Dank für den großartigen Day-Lewis-Clip.

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  2. Ist vielleicht gar nicht so absurd: Sind allesamt Oscar-nominierte Filme, die in diesen Wochen gestartet sind. Da haben die Verleiher auf den Schub gleich zum Start gehofft. Aber ich würde mich nicht wundern, wenn die Besucherzahlen recht bescheiden blieben, Oscars hin oder hier. Die Masse will andere Stars in anderen Rollen als den durchgeknallten Öl-Baron Day-Lewis oder Javier Bardem mit bescheuertem Haarschnitt.

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  3. Vor allem die Publikumsresonanz des Dylanfilms wird sich reziprok proportional zum Hype in den Feuilletons verhalten, da würde ich meine italienische Monopressung von „Blonde on Blonde“ drauf verwetten.

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  4. Das hast Du aber hübsch gesagt. Darf man das auch zu reziproportional zusammenziehen?

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