Sun City und die Wirklichkeit

Woche 17/2008



Wendy und Jon sind DIE GESCHWISTER SAVAGE, gespielt werden sie von Laura Linney und Philip Seymour Hoffman. (Spielt der eigentlich auch irgendwo nicht mit?) Er ist ein Literaturdozent, der mit einem Buch nicht weiterkommt, sie eine gescheiterte Theaterautorin, weder er noch sie haben eine stabile Liebesbeziehung, aber ihr beider größtes Problem ist der Vater in Sun City, um den sich, wegen einsetzender Demenz, dann doch mal gekümmert werden muss. Ein Thema, das gemeinhin sentimental angegangen wird, wie neulich in AN IHRER SEITE, hier aber mit Komik und Wahrhaftigkeit. Sieht nach einem Film aus, dem es gelingt, intelligent und unterhaltsam eine alltägliche Geschichte zu erzählen. Jan Schulz-Ojala stört sich im Tagesspiegel am "wachsenden Hang zur Harmonie" der Regisseurin Tamara Jenkins, es gibt wohl am Ende eine Katharsis, aber vielleicht ist das ganz o.k., wenn vorher alles hübsch zuckerfrei war.
Begeistert bin ich vom Plakat. Was für ein Lichtblick, endlich wird mal wieder eine Illustration eingesetzt und dann auch noch eine so großartige von Chris Ware. Hat sich eigentlich mal jemand mit dem Niedergang des Filmplakats auseinandergesetzt? Früher, als bekanntermaßen alles besser war, jajaja, gab es unvergessliche Ikonen, die noch Jahrzehnte später in Wohnungen aufgehängt wurden, heute wird in der Regel dumpf und simpel vorgegangen, bloß keine Interpretation oder visuelle Abstraktion, immer hübsch dicht am Film bleiben. Und nächste Woche sind die Motive schon vergessen. Hat irgendwer ein Lieblingsplakat, das jünger als 30 Jahre ist?
DIE GESCHWISTER SAVAGE läuft im Abaton OmU und in der synchronisierten Fassung im Holi.



Ebenfalls im Tagesspiegel schreibt Kerstin Roose über ITTY BITTY TITTY COMMITTEE, dem Film sei etwas "Seltenes" gelungen: "eine differenzierte Standortbestimmung des Feminismus, die auch Widersprüche zulässt...". Vorher: "Das hat Witz. Und das rockt."
Ob gelungen oder nicht, rockende Standortbestimmungen des Feminismus will ich weder im Kino noch sonstwo sehen, aber ihr vielleicht?
Läuft im Studio OmU.


Außerdem und weiterhin:



CHIKO im Zeise, im Abaton, im Cinemaxx und in den UCI-Multiplexen.

DAS JÜNGSTE GEWITTER noch von Montag bis Mittwoch nachmittags im Blankeneser.

ABGEDREHT im Zeise, im Cinemaxx und nachmittags im UCI Mundsburg.

NO COUNTRY FOR OLD MEN spät im Cinemaxx.

TÖDLICHE ENTSCHEIDUNG im Abaton und im großen Passage.

FLEISCH IST MEIN GEMÜSE im Zeise, im Abaton, im Cinemaxx, im Studio, im UCI Wandsbek und im Koralle (Vorsicht: Da könnte es eine miserable Digitalprojektion geben).

MICHAEL CLAYTON bis Sonntag im Koralle.



Filme, die wir zum Glück nicht gesehen haben, Teil 6:

(Oder habt ihr den etwa gesehen?)



Umsonst und zuhause:




Am Donnerstag auf arte um 21.00 Uhr: ZUSAMMEN von Lukas Moodysson. Eine komische Sicht auf die hier gar nicht gut aussehenden 70er, mit einem harmonischen Ende. Was ist bloß mit Moodysson passiert? In seinem filmischen Universum gab es seither keinen Lichtblick mehr. ShowView 1.831.298



Am Freitag und ebenfalls auf arte um 23.30 läuft erstmals im deutschen Fernsehen das psychedelische Westernspektakel EL TOPO von Alejandro Jodorowsky. Prätentiös, spektakulär, bescheuert und unbedingt sehenswert. Wer letzte Woche den Nachfolger MONTANA SACRA verpasst hat, kann den später in der Nacht auf Samstag um 3.00 Uhr auch noch aufzeichnen. EL TOPO ShowView 758.075, MONTANA SACRA ShowView 3.514.355


Am Samstag um 20.15 Uhr läuft auf RTL der Bollywood-Kracher von 2006 mit Shah Rukh Khan: DON, für die Fernsehaustrahlung mit dem Zusatz "das Spiel beginnt" im Titel. Der Film von Farhan Akhtar ist ein Remake, für das Original von 1978 hat sein Vater Javed Akhtar das Drehbuch geschrieben. Gangster und Gesang und Tanz. ShowView 78.031.046




In der Nacht von Montag auf Dienstag um 00.10 Uhr im ZDF: VALERIE. Die Geschichte des Abstiegs eines Models ist wohl einer der besseren deutschen Filme des letzten Jahres, ging in den Kinos aber ziemlich unter. ShowView 9.072.894




Am Dienstag zeigt arte um 21.00 Uhr noch einen Dokumentarfilm, der sehr viel packender und schöner sein dürfte, als die Masse der Spielfilme. In WORKINGMAN´S DEATH geht es um tödliche Arbeitsbedingungen in der Ukraine, in Indonesien, in Pakistan und in China, das ja ohnehin das Reich des Bösen zu sein scheint, nach den Tibet-Aufregungen der hiesigen Medien zu urteilen. Lieb ist nur das Schmunzelmonster. Die Musik in WORKINGMAN´S DEATH stammt von John Zorn. ShowView 527.691


DIE ZEIT DIE BLEIBT, Ozons Film über einen an Krebs verreckenden Fotografen zeigt N3 am Dienstag um 23.00 Uhr. ShowView 626.368

Und Petzolds DIE INNERE SICHERHEIT läuft noch einmal auf 3Sat, ebenfalls am Dienstag um 22.25 Uhr. ShowView 57.693.769



Am Mittwoch dann um 23.45 die VIRGIN SUICIDES (TV-Titel "Die Geheimnisse ihres Todes), Regie führte Sofia Coppola, die Musik ist von Air, die Vorlage stammt von Jeffrey Eugenides und Kirsten Dunst hat die Hauptrolle, Bammbammbammbamm. ShowView 4.705.856



Dies und das:


Den Multiplex-Ketten geht´s offenbar weiterhin schlecht: 2007 betrug das Minus von Flebbes Cinemaxx-Kette 5,1 Millionen, eine Steigerung des Verlustes um 2 Millionen im Vergleich zum Vorjahr, wie am 21.4. gemeldet wurde. Von der UCI- und der Cinestar-Kette sind keine Zahlen bekannt, die dürften aber auch eher rot als rosig aussehen. Nach den 6 Millionen Zuschauern, die Til Schweiger mit seinen KEINOHRHASEN in die Kettenkinos gelockt hat, hofft Flebbe 2008 auf eine "Trendwende". Wenn die ausbleibt kommen vielleicht bald bessere Zeiten für unabhängige Kinobetreiber, die die Multiplexboomzeit tapfer durchgestanden haben.



Kinos, Folge 24: Der Weltspiegel in Cottbus

Ein wunderschöner Kinobau von 1911, wundersamerweise noch in Betrieb als letztes Kino in der Stadt. (Ansonsten gibt es nur ein schäbiges Multiplex im Industriegebiet an der Autobahn)
Geplant ist ein zusätzlicher Saal, hoffentlich wird dabei nichts unwiderruflich kaputt saniert. Manchmal fällt die Kinovorstellung aus, dafür sitzt dann etwa Max Goldt, Charlotte Roche oder Horst Evers auf der Bühne.


Eine Googleabfrage, die letzte Woche jemanden auf diese Seiten führte: "bumsen life umsonst deutsch"

6 Kommentare:

  1. Hi Gunnar,
    wirklich nur 2 nennenswerte "Neu in den Kinos"-Filme diese Woche?
    Und: Ich gestehe, ich habe die "Liebenden von P.N." gesehen - war viel zu lang und will ich auch kein 2. Mal sehen. Hab ich schon mal gesagt, daß ich "Paris, Texas" lieber auch nicht gesehen hätte?
    Herzliche Grüße, Silke

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  2. Tja, Gunnar, auch ich habe "Les Amants ..." schon mal in der Glotze gesehen - und ich würde mir diesen Film immerhin eher nochmals anschauen als "Paris, Texas" (den ich natürlich auch mal irgendwie gesehen habe). In jedem Falle finde ich die Aufnahme des Films in Deine Serie etwas übertrieben, und es entbehrt natürlich nicht einer gewissen Ironie, dass gerade für diesen von Dir so verabscheuten Film ein gezeichnetes Plakat gibt. Gruß - Stefan

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  3. meiner meinung nach ist das schönste film poster dieses von monty python and the holy grail

    http://www.cinemasterpieces.com/hoygrail.jpg

    wobei die variante die ich kenne noch mit dem zusatz: "makes Ben Hur look like an epic" kommt, die mich regelmäßig umwirft vor lachen.

    der carax film war seinerzeit für mich der hass film der dekade und die binoche seither (plus den unsäglichen L Malle film "Damage" oder wie der auch immer hieß) absolutes filmvermeidekriterium. die kommt mir nicht mehr unter die augen. dabei fängt der carax film sogar ganz gut an - sogar richtig heftig: dem durch die straßen humpenlden obdachlosen werden die beine kaputt gefahren - aber dann der sentimentale dreck "o wie schön ist das obdachlosenleben, faria faria ho" igitt, wieder daran erinnert zu werden.

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  4. Endlich wird es kontrovers hier. Ich fand "Damage" ganz großartig und kann den immer wieder sehen. Die Thematik ist zwar im Grunde nicht mein Ding, aber die Inszenierung von Gefühlen ist perfekt und überzeugt immer wieder. Jetzt wollen wir Deine Argumente hören, Jö!

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  5. ne, kann ich nicht, weil das schon so lange her ist, dass ich "damage" gesehen habe und ich der geschichte nicht geglaubt habe und binoche nervt. danach erschien dann im spiegel so ein artikel, aus dem sich heraus lesen liess, dass der schreiber sich in die binoche verknallt hatte beim film gucken. macht ja auch nichts, aber mir gings genau andersherum. und bei der vorstellung auch nur irgendwann nochmal die binoche in irgendeinem film zu sehen, drehen sich mir die augen nach innen. das soll nicht heissen, dass es vielleicht den einen oder anderen binoche film gibt, der sehenswert sein könnte, aber ich will davon nichts wissen. ich wette "the english patient" fällt in dieselbe schiene: dazu gibts eine wunderbare Seinfeld episode, titels "the english patient". wenn ich jetzt allerdings die wahl hätte mir den pontneuf oder damage anzugucken, sähe ich lieber den malle film erneut.

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  6. Jö,ich teile Deinen Binoche-Ekel, ich reagiere auch geradezu allergisch und im Carax-Film schien mir darüberhinaus noch vieles, was mir im Kino so richtig zuwider ist zusammenzukommen. Wenders späten Filme passen da wunderbar dazu, finde ich auch, Silke,"Paris, Texas" ist, so finde ich, aber noch auf der Kippe. Vollends unerträglich wird es erst ab dem Engelfilm. Stefan, der die "Liebenden" noch ein wenig verteidigt, habe ich es zu verdanken, dass ich von den französischen Kieslowski-Filmen wenigstens einen gesehen habe. Da hatte ich auch eine großen Bogen drum gemacht, nur wegen des roten Tuchs Binoche.
    Und Stefan, die Ironie habe ich auch gesehen, drum sind die "Liebenden" ja auch diese Woche drangekommen. Und die Aufnahme in die Serie von Filmen, die man glücklicherweise nicht gesehen hat, finde ich gar nicht übertrieben: Lieber würde ich mir jeden anderen Film angucken, den ich bislang vorgestellt habe, als mir den Carax-Schmock anzutun.

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