Der Eisenmann, der Derwisch und die tote Mutter

Woche 18/2008



Es ist mir ein Rätsel, das mit den Superhelden. Die Typen mit den wundersamen Fähigkeiten taugen doch offensichtlich vor allem als Identifikationsfiguren von 5-Jährigen. Und so sind die Spielwarengeschäfte auch bei jedem Super- Bat- Spider- Irgendwasman-Sequel knallvoll mit passendem Spielzeug, immer mit dem Hinweis auf der Verpackung, dass Kinder unter drei damit nicht spielen sollten, wegen der verschluckbaren Kleinteile. Die Filme hingegen sind ab frühestens 12 freigegeben und nach wie vor so erfolgreich, dass inzwischen auch Superhelden-Comics aus der 2. und 3. Reihe für den Film adaptiert werden. Wo ein solches Riesenpublikum für die infantilen Allmachtsphantasien herkommt ist mir rätselhaft, vor allem da andererseits die Comics zumindest hierzulande immer weniger Leser finden.
Jetzt also IRONMAN. Ein genialer Erfinder wird in einer selbstentwickelten Rüstung zur Kampfmaschine mit Superkräften und befreit die Welt von arabisch sprechenden Untermenschen in Afghanistan. Mit ganz viel Peng und Bumm und Folterszenen und allem was dazu gehört. Nach meinem Geschmack wäre da eher Deadman. Der tote Superheld. Von Walter Moers, damals in der Titanic. Da passierte absolut nichts, wie auch, der Held war ja tot. Warum macht bloß da keiner einen Film draus, würde nicht einmal die deutschen Trickstudios überfordern.
IRONMAN läuft in den Multiplexen.




Ich wusste noch nie genau, was eigentlich ein Derwisch ist. Falls Euch das auch so geht, hier die Erklärung bei Wikipedia. In BAB'AZIZ, einem Film des tunesischen Regisseurs Nacer Khemir, durchquert ein Derwisch gemeinsam mit einem 9-jährigen Mädchen die Wüste und erzählt diesem allerlei märchenhafte Geschichten, die, allesamt ausgespielt, in die Handlung eingestreut werden. Schließlich erreichen Sie ihr Ziel, ein Derwischtreffen, das nur alle 30 Jahre stattfindet und als opulentes Spektakel inszeniert wird. Schwelgt in schönen Bildern von Wüste und etwas klischeehafter orientalischer Pracht und wäre eigentlich gut geeignet, um mit Kindern reinzugehen. Aber für die dürften die Untertitel der im 3001 gezeigten Fassung eine gewisse Hürde darstellen. Lief übrigens in weniger provinziellen Städten bereits im letzten Jahr.



Der Schweizer Thomas Haemmerli muss mit seinem Bruder die Wohnung seiner toten Mutter entrümpeln, die als Messie im Endstadium in ihrem eigenen Dreck umgekommen ist. Da macht er einen Film draus, SIEBEN MULDEN UND EINE LEICHE, die Dokumentation einer Spurensuche, die bruchstückhaft das traurige Leben der Toten rekonstruiert. Der Ton ist alles andere als pietätvoll, nichts wird verschwiegen, nicht die extrem unappetitlichen Details der Leichenbeseitigung, auch nicht Warzen in der Scheide, verursacht durch Schlucken der Pille über zu lange Zeit. Sieht nach einem sehr ungewöhnlichen und schonungslosen Filmexperiment aus, das Witzereißen im Angesicht des Schreckens geht aber vielen Kritikern gegen den Strich: "flüchtet sich selbstgefällig in sarkastische Posen", meint beispielsweise Martin Schwickert im Abendblatt. Oder Daniel Kothenschulte in der FR: "Für gewöhnlich sind es die Erben, die Porträt-Filmer in ihre Grenzen weisen. (...) Aber wehe, die Erben sind identisch mit scham- und talentlosen Regisseuren. Thomas Haemmerlis Film ist ein Meilenstein in der Geschichte des exhibitionistischen Dokumentarfilms. Man sollte ihn als Mahnung verstehen, so lange wie es irgend geht, lebend auf dieser Welt zu bleiben. Vor den Leichenfledderern einer längst gegenwärtigen digitalen Zukunft ist niemand sicher." Hört sich alles nicht uninteressant an. Fragt sich nur, ob man sich wirklich die schlecht aufgelösten Digicambilder im Kino ansehen sollte. Sieht mit Sicherheit und ausnahmsweise auf der Mattscheibe besser aus. Die Mulden aus dem Titel musste ich übrigens auch bei Wikipedia nachschlagen. Hättet ihr´s gewusst?
SIEBEN MULDEN UND EINE LEICHE läuft im, na wo wohl, 3001. Trailer hier.




In GLUE geht es um Klebstoffschnüffeln und ersten Sex, von dem noch geträumt wird. Ein Film aus Argentinien, ein bisschen rau, ein bisschen poetisch, ein bisschen schwul, soll den Ton der Teenies glaubwürdig treffen und visuell eindrucksvoll sein, (Landschaftsaufnahmen in Super 8 und DV), aber dass die Jungspunde in Argentiniens Provinz heutzutage die Violent Femmes hören, glaube ich dem Film nicht. Gordon Gano wird´s jedenfalls gefreut haben. Läuft im Studio.



Außerdem neu:



Ein unsäglicher CGI-Animationsfilm aus deutscher Produktion, URMEL VOLL IN FAHRT. Andere machen Pixarfilme, hierzulande macht man das hier. Ganz schlimm, die kleinen Kinobesucher können einem leid tun. Die deutschen Kritiken sind wie bei all den lausigen deutschen Trickfilmen ganz freundlich, der Rest der Welt kriegt´s nicht zu sehen. Der Vorgänger hatte 700.000 Zuschauer, denn Mama und Papa fressen alles, wenn sie nur den Titel aus der eigenen Kindheit kennen. Läuft in den Multiplexen.
Und: Ein deutsches Coming-Of-Age-Schwangerschafts-Sozialdrama mit dem Titel WAS AM ENDE ZÄHLT. Im Studio.
Und: BLIND WEDDING - HILFE SIE HAT JA GESAGT. Alberne Romcom. In den Multiplexen.
Und: MEMORY BOOKS, eine Doku über afrikanische Aidswaisen, Engagement für die gute Sache mit geschmäcklerischer Begleitmusik und "schönen Bildern". Läuft auch im Studio.
Und: Eine ungelenke Doku deutscher Filmemacher über das Land des Schmunzelmonsters: DIE ROTEN DRACHEN UND DAS DACH DER WELT. Läuft im Abaton.
Und: 1. MAI. Ein Episodenfilm, parallel gedreht von mehreren Teams am 1. Mai 2007 in Kreuzberg. Mal sehen, ob dann im Herbst 11. NOVEMBER folgt, nach dem gleichem Muster, aufgenommen in Köln.



Weiterhin:



DIE GESCHWISTER SAVAGE im Abaton OmU und in der synchronisierten Fassung im Holi.

TÖDLICHE ENTSCHEIDUNG im Abaton und im großen Passage und jetzt auch im Alabama.

DAS JÜNGSTE GEWITTER noch bis Samstag nachmittags im Koralle.

NO COUNTRY FOR OLD MEN für alle, die es verpasst haben nochmal spät und OmU im 3001, synchronisiert außerdem im Magazin und spät im Cinemaxx.

THERE WILL BE BLOOD noch einmal von Montag bis Mittwoch im Koralle.

I´M NOT THERE leider nur in der deutschen Fassung von Freitag bis Sonntag nachmittags im Fama.

FLEISCH IST MEIN GEMÜSE im Zeise, im Abaton, im Studio, im UCI Wandsbek im Koralle, im Cinemaxx, im Cinemaxx Harburg und im Cinemaxx Wandsbek.

CHIKO im Zeise, im Abaton, im Cinemaxx und in den UCI-Multiplexen.

HOTEL VERY WELCOME, die lustige und quälende Doku-Fiction über lächerliche Westler in Indien nochmal nachmittags von Montag bis Mittwoch im 3001.



Filme, die wir zum Glück nicht gesehen haben, Teil 7:

DIE ROTE FLUT von John Milius, 1984. Thomas Groh hat sich das letztens angetan und schreibt: "Heiliger BimBam! So ein Ausbund an Absurditäten - ich weiß jetzt gar nicht, wo ich genau anfangen soll."



Umsonst und zuhause:



Am Sonntag auf Bayern 3 um 23.15 Uhr: 9 STERNE HOTEL, eine Dokumentation über die Lebensbedingungen von palästinensischen Bauarbeitern in Israel. Preisgekrönt. ShowView 1.493.181



Am Montag auf arte um 21.00 Uhr läuft JUST A KISS, ein Ken-Loach-Melodram von 2004. War seinerzeit komplett an mir vorbeigegangen. Pakistani liebt britische Lehrerin, spielt in Glasgow. ShowView 1.911.230



Ebenfalls am Montag um 22.15 Uhr läuft im ZDF RIPLEYS GAME ODER DER AMERIKANISCHE FREUND. Die Patricia-Highsmith-Adaption von 2002 hatte es nicht in unsere Kinos geschafft, Tom Ripley, früher dargestellt von Alain Delon, Dennis Hopper und Matt Damon, wird diesmal von John Malkovich gespielt, ein hinreichender Grund, da mal einen Blick reinzuwerfen. Diesmal lässt Ripley morden, von einem Leukämiekranken, der nichts zu verlieren hat, aber ein paar Euro gebrauchen kann, um seine Familie abzusichern...
Lustig, dass der deutsche Titel den Zusatz "Der amerikanische Freund" enthält. Der ursprüngliche deutsche Buchtitel war "Ripleys Game oder Regel ohne Ausnahme", "Der Amerikanische Freund" stammt von der Wim-Wenders-Verfilmung des Stoffes und wurde nach dem Filmerfolg auch an den Buchtitel rangeklatscht. ShowView 907.679




Ebenfalls am Montag um 23.15 Uhr im WDR: SCHATTEN ÜBER DEM KONGO, eine hochgelobte Dokumentation über die Ausbeutung des Kongo durch Belgien und die Folgen bis heute. ShowView 2.179.105



Am Dienstag zeigt arte um 23.35 Uhr GEBROCHENE FLÜGEL von 2002. Soll einer der besten israelischen Filme überhaupt sein, erzählt zurückhaltend und bruchstückhaft von den Folgen, die der Tod des Vaters für eine Familie hat, souverän inszeniert und gut gespielt angeblich. ShowView 7.981.186



Am Mittwoch schließlich läuft auf arte um 22.45 Uhr WHISKY, eine melancholische Komödie aus Urugay über Altern und Lügen und Misserfolg. ShowView 6.422.804



Kinos, Folge 25: Der Gloria-Palast in Cuxhaven

Ein Riesensaal in Originalaustattung von 1954, Bestuhlung, Fußboden, Wandverkleidungen, Loge: Alles noch da. Was für ein Glücksfall. Als in Cuxhaven ein Multiplex geplant wurde, war überall schon zu sehen, dass sich durch die modernen, funktionalen Kästen keineswegs die Besucherzahlen nennenswert erhöhten. Potentielle Investoren bekamen kalte Füße und Cuxhaven verfügt darum auch heute noch über seine drei alten Kinos. Von einem Kino wie dem Gloria, wirklich ein Palast, können wir in Hamburg nur träumen.


Eine Googleabfrage, die letzte Woche jemanden auf diese Seiten führte: "russische hebammen"

2 Kommentare:

  1. Jedem seine Vorurteile :-) Auch was Superhelden betrifft. Aber Spaß hat der Eisenmann trotzdem gemacht. Direkt nach dem Kino ist man ja am ehrlichsten. Kann man sich hier anhören.

    AntwortenLöschen
  2. Hab mich schon gewundert, dass niemand widerspricht. Ihr bringt mich langsam noch dazu, meine Vorurteile im Kino zu überprüfen...

    AntwortenLöschen