Bedrohungen durch Mayamonster, Messerstecher und Intersexualität

Woche 26/2008



Schon wieder wird eine Gruppe Heranwachsender gewaltsam dezimiert, diesmal aber nicht in Nord-, sondern in Südamerika: RUINEN der Maya sind der Schauplatz eines Horrorfilms, dessen Drehbuch und Romanvorlage von Scott B. Smith stammt, der auch die Vorlage und das Drehbuch von EIN EINFACHER PLAN schrieb. Und weil der Planfilm auch wegen seines Plots so gelungen war, steht zu hoffen, dass RUINEN etwas mehr bietet als die öde Dutzendware sonst. Die Gruppe jugendlicher Touristen sucht eine alte Kultstätte im Dschungel auf, wo sie von Bewohnern eines benachbarten Dorfes in Gefangenschaft genommen wird. Bald stellt sich heraus, dass sie als Menschenopfer für irgendein schreckliches, eher pflanzliches Ungeheuer dienen sollen. Ist wohl alles solide und effektiv inszeniert, mit mehr Sorgfalt bei den Charakterisierungen als sonst üblich. Aber mehr auch nicht. Wer das Genre mag, wird wohl nicht enttäuscht werden. Läuft im Cinemaxx und im Cinemaxx Harburg.



Das Adrenogenitale Syndrom ist, laut Wikipedia, eine Stoffwechselkrankheit, deren auffälligstes Symptom bei Mädchen eine penisähnliche Klitoris ist, von Geburt an. Der argentinische Film XXY erzählt die Geschichte von einer betroffenen 15-jährigen und einem latent schwulen 16-jährigen und soll das Kunststück fertigbringen, immer den richtigen Ton zu treffen und mit einer sehr lebendigen Kamera ganz dicht bei seinen Figuren zu bleiben. Aber wenn das auch noch so bravourös umgesetzt ist, für meinen Geschmack hört sich das alles doch arg thesenhaft an. Die These lautet, wenig überraschend: Menschen, die physisch nicht sexuell eindeutig festgelegt sind, sollten nicht zurechtoperiert werden, sondern die Freiheit haben, so wie sie sind zu leben und zu lieben. Wer sich die dazugehörigen Argumente in einer offensichtlich überzeugenden Spielfilmhandlung vortragen lassen will, geht ins Abaton.



Außerdem neu:


CHARLIE BARTLETT hat auch so ungefähr das Alter der Protagonisten von XXY, er ist ein Upper-Class Kid und muss auf eine öffentliche Highschool wechseln, wo er auf dem Klo einen florierenden Vertrieb für Retalin, Prozac und andere Pillen aufbaut. Hört sich erstmal so an, als könnte das eine gelungene fiese kleine schwarz-humorige Komödie sein, ist es wohl aber nicht: Der Dealer wandelt sich zum Klo-Therapeuten, der doofe Binsen-Botschaften verbreitet und seinen problembeladenen Mitschülern ganz doll hilft. "RUSHMORE für Arme", urteilte Jeff Bayer im Daily Herald. Läuft im Cinemaxx Wandsbek und im UCI Mundsburg.



Und: Eine seltsame Mischung aus Dokumentation und naivem Spielfilm ist STURMFLUT 2. Da holt Jan seine Meike aus Meißen ab und reist mit ihr die Elbe entlang, wobei die Schönheiten der Landschaften und Städte ausführlich ausgestellt werden ("Staunen Sie über das Pulsieren der Metropole Hamburg mit ihrem Welthafen", gebietet uns der Pressetext). Ziel der Reise ist Langeneß, wo die beiden heiraten wollen, aber dann gibt´s auch noch ein bisschen Sturmflut, die das Vorhaben in Frage stellt. Die Titelgebung erinnert in seiner Dreistigkeit an die Praxis der deutschen Verleiher in den 60er und 70ern, als reihenweise irgendwelche Filme beispielsweise "Dracula" oder "Frankenstein" im Titel verpasst bekamen, auch wenn weder Vampire noch Monster auch nur die geringste Rolle spielten. Bei Kinderfilmen gab´s das auch: Nachdem Kalle Blomquist ein bekannter Name war, gab es bei uns Kallefilme zu sehen, in denen es weit und breit keinen Kalle gab. Da steht einfach Nutella drauf und ist ganz was anderes drin. Bei STURMFLUT 2 denkt natürlich jeder an die erfolgreiche, mit Stars gespickte RTL-Produktion, der Titel bezieht sich aber angeblich auf eine Dokumentation von 1993. Immerhin ist es durch dieses Vorgehen gelungen, das Filmchen sogar in die Multiplexe zu schummeln, in Hamburg läuft es im Cinemaxx, im Cinemaxx Harburg und im UCI Othmarschen.


Und: Ein Metzelfilm, der sich vor dem Blutvergießen erst noch eine Menge Zeit nimmt, um eine entspannte Atomssphäre aufzubauen und seine Figuren vorzustellen: "Die coole Inszenierung und ein Soundtrack mit Ohrwurmpotential geben dem Film den Touch eines spätsommerlichen Feel-Good-Werbespots, der neben einem talentierten, sexy Cast auch eine raffinierte Story zu bieten hat", steht im Pressetext. Danach soll das Geschlitze dann noch schockierender wirken. Vielleicht geht es auch nur darum, nicht nur männliche Heranwachsende, sondern auch ihre Freundinnen ins Kino zu locken. Hilfreich dürfte da auch der Titel sein: ALL THE BOYS LOVE MANDY LANE klingt doch gleich ganz anders als "Saw 3". Wer sich an sowas ergötzen kann, geht ins Cinemaxx, ins Cinemaxx Wandsbek, ins UCI Wandsbek oder ins UCI Othmarschen.




Noch mehr Teenager: Valentina und Suli gibt´s aber wirklich. Für seine Dokumentation DRAUSSEN BLEIBEN hat Regisseur Alexander Riedel die beiden Flüchtlinge im Münchner Aysbewerberheim portraitiert, über ein Jahr lang. Das Ergebnis soll ein ungewöhnlicher, ja ein "exzellenter" Dokumentarfilm sein, wie Mike Beilfuß im filmdienst schreibt. Könnte aber auch ein wenig langweilig sein und läuft im Holi.




Und: Alles über LA PALOMA. Das Lied. Die unzähligen Versionen. Fragt sich nur, warum man sich einen Film darüber angucken sollte. Das wäre doch eher ein Thema für ein Radio-Feature, nein für eine ganze Serie, gibt schließlich noch ein paar mehr Songs in vielen und ungewöhnlichen Versionen. Aber im Radio könnte man dann nicht die Cover der Platten von Sammler und Compilationherausgeber Kalle Laar bewundern. Wer das möchte, geht ins 3001.
Und wer riskieren will, von dem Song für nächste Zeit erst mal genug zu haben, guckt und hört sich diese Version hier an:


Und: Keine Rom-Com diese Woche!



Weiterhin:


BRÜGGE SEHEN UND STERBEN? im Abaton OmU, im Elbe, im Passage und im UCI Wandsbek.

CHIKO nur noch an manchen Tagen spät im UCI Wandsbek.

JULIA im Abaton OmU, außerdem nachmittags im Holi und regulär im Zeise.

INDIANA JONES UND DAS KÖNIGREICH DES KRISTALLSCHÄDELS in den Multiplexen und ein paarmal im Streits OF.

MEIN BRUDER IST EIN EINZELKIND im Alabama, im Elbe und in Nachmittagsvorstellungen im Holi.

BEN X ein paarmal im Magazin.

BE KIND REWIND ("Abgedreht") ein paarmal im Alabama.

Und wer THERE WILL BE BLOOD immer noch nicht gesehen hat, kann das am Sonntag um 22.30 Uhr im Abaton nachholen. Sogar OmU, läuft außerdem auch einige Male nachmittags.



Dies und das:

Nicht vergessen: Abschied vom Metropolis wird am Dienstag, dem 1. Juli gefeiert. Ab 15.00 Uhr bis in den späten Abend, der Eintritt ist frei und wird jederzeit gewährt. Es gibt ein knallvolles Abschiedsprogramm mit allerlei Kostbarkeiten, nicht zuletzt auch zur Hamburger Kinogeschichte, ab 19.00 Uhr.
Am Wochenende läuft Viscontis ROCCO UND SEINE BRÜDER, wäre auch schön für einen vorerst letzten Kinobesuch in der Dammtorstraße.



Filme, die wir zum Glück nicht gesehen haben, Folge 15:

Vielleicht der schlimmste Schweigerfilm überhaupt? Aber wer wollte sich das angucken, um Vergleiche anstellen zu können? Die "Topkomödie des Jahres" 2006 übrigens.



Umsonst und zuhause:



Ausnahmsweise hier die Empfehlung einer alten Kamelle: HEISSER SOMMER. So schön war die DDR 1968. Am Samstag um 23.45 Uhr auf N3. ShowView 7.403.461

Am Montag zeigt arte um 21.00 LANTANA, ein intelligenter Thriller aus Australien. Eine Frau verschwindet und das hat Folgen für mehrere Paare, die sich in Lügen und Verrat verstricken. Komplex, aber von leichter Hand sicher zusammengebaut. Mit Anthony LaPaglia. ShowView 4.666.634

Ebenfalls am Montag läuft später auf arte DER ABSOLUTE FILM, eine Kompilation von Avantgarde-Filmen, die von der "Novembergruppe" um Max Pechstein, Hanns Eisler und Lyonel Feininger 1925 vorgeführt wurde. Für das Fernsehen rekonstruiert, teilweise mit neu komponierter Musik und erstmals ausgestrahlt um 23.55 Uhr. ShowView 1.220.634 (kein VPS)



LIEBE IM PALMENHAIN heißt eine Dokumentation des Franzosen Jérôme le Maire, der mit Sack und Pack nach Marokko gezogen ist und dort der Frage nachgeht, wo es in einer Gesellschaft, die geprägt ist durch Zwangsehen und Geschlechtertrennung, Liebe geben kann. Soll schön subjektiv, aufrichtig und auch mal komisch sein. War bislang nur ein paarmal auf Dokumentarfilmfestivals zu sehen, jetzt aber auf arte am Dienstag um 23.00 Uhr. ShowView 759.081



Noch eine sehenswerte Dokumentation einen Tag später auf arte um 21.00 Uhr: ICH WAR EIN KAMIKAZE erzählt von der Erfahrung, den Einsatz als Kamikaze-Flieger überlebt zu haben. Zu Wort kommen Ex-Piloten und amerikanische Augenzeugen, realisiert wurde das Ganze von einer amerikanischen Regisseurin mit japanischen Wurzeln und einer Produzentin, die ebenfalls einen "Migrationshintergrund" hat, nur genau andersherum. ShowView 604.043



Im Anschluss um 22.30 Uhr zeigt arte einen bulgarischen Spielfilm mit Untertiteln, TANA, DONA UND LUKRETIA. Drei Geschichten von drei Frauen aus drei Jahrzehnten. Ich habe noch nie einen Film aus Bulgarien gesehen. Ihr? ShowView 5.453.802

In ECHOES - STIMMEN AUS DER ZWISCHENWELT wird wieder einmal unfreiwillig Kontakt zu Toten aufgenommen. Der Geisterfilm von 1999 soll aber sehr effektiv umgesetzt und dank eines realistisch gezeichneten Umfelds ordentlich geerdet sein und ging unverdientermaßen ziemlich unter. Auf
Kabel 1, auch am Mittwoch, um 22.35 Uhr. ShowView 5.230.647


Und wie immer gibt es außerdem noch jede Menge weitere sehenswerte Filme, vielleicht hat diese Woche beispielsweise jemand Lust, sich wieder einmal ARABESKE anzugucken. Wer suchet, der findet.



Kinos, Folge 33: Das Studio in der Bernstorffstraße in Hamburg

Aufgenommen am Tag der letzten Vorstellung, dem 18. Juni. Der Schriftzug und der Chaplin auf der Fassade stammen noch von der Wiedereröffnung durch Riechs Ufa-Kette 1989. Heutzutage würde Charlie wohl nicht mehr als Symbol für Kino verwendet werden.


Eine Googleabfrage, die letzte Woche jemanden auf diese Seiten führte: "familienzusammenführung afghanistan".



Und nochmal das Still aus BATTLE IN HEAVEN, nur um zu sehen, ob mir das hier weiterhin ungewöhnlich viele Besucher beschert.

1 Kommentar:

  1. Klasse Foto von der Bernstorffstraße. Was aber an der Mireille-Matthieu-Version von "La Paloma" nun SO schlimm sein soll, ist mir nicht klar (mal abgesehen von der unglaublich lieblosen Fernsehproduktion, der wie eh und je Furcht erregenden Frisur der Künstlerin und der schier endlosen Dauer des Auftritts ...)

    AntwortenLöschen