Ein hoffnungsloser Gerüstbauer und ein digitaler Muskelberg

Woche 28/2008



Wieder ein Film aus dem Osten, genauer gesagt aus Brandenburg, aber die dortigen Verlierer sind nicht knuffig und sympatisch wie Axel Prahl, der spielt auch gar nicht mit, dafür aber Milan Peschel, der von dem Projekt so überzeugt war, dass er auch ohne Gage mitgemacht hat. Peschel gibt den daueralkoholisierten Inhaber einer Gerüstbaufirma, die anderen Figuren, die sich auf einem verlassenen Militärgelände versammeln, sind ein gerade entlassener riesenhafter Psychatriepatient und eine Frau, frisch aus dem Knast. ALLEALLE heißt der Film und das soll soviel heißen wie "Alles futsch". Viel Plot gibt´s nicht, aber dafür viel Witz und ein wenig Melancholie. Hört sich alles so an, als müsste man diesem Film aus ostdeutschen Landen eine Chance geben. Man denkt bei all dem gleich an WIR KÖNNEN AUCH ANDERS, hoffentlich weckt das nicht zu hohe Erwartungen. ALLEALLE läuft nur im Zeise und darum bestimmt nicht lange, wer Interesse hat, sollte sich nicht zu viel Zeit lassen.


Zum UNGLAUBLICHEN HULK kann ich nicht viel sagen, für mich ist das definitiv nix, egal wie mies oder gelungen die Marvel-Adaption auch ist. Am Anfang soll´s jedenfalls ganz hübsch choreografierte Action-Szenen in den Favelas von Rio geben, am Ende hauen die digital animierten Mutanten dann wie üblich New York zu Klump. Dargestellt wird der Held, wenn er nicht gerade grün ist, von Edward Norton, Regie führte diesmal nicht wieder Ang Lee, sondern der französische Action-Spezialist Louis Leterrier. Bei imdb liegt der Film bei 7,6 Punkten, der Tomatometer zeigt 68% an, man kann also davon ausgehen, dass der Film ganz gut ist, jedenfalls so gut wie ein Superheldenmultiplexsommerblockbuster eben sein kann. Läuft im Streits OF ungekürzt, in deutscher Fassung ungekürzt im UCI Othmarschen und in den anderen Multiplexen gekürzt (FSK 12).



Außerdem neu:


Ein nostalgisches Kammermelodram mit Hitchcockanleihen und ein wenig Witz: MARRIED LIFE. Harry liebt Kay, ist aber verheiratet mit Pat, die er aus Fürsorglichkeit umbringen will, während sich Harrys Freund Richard an Kay heranmacht. Das Ganze spielt in den 40ern und weil das Budget nicht allzu hoch war, fast ausschließlich in Innenräumen, die dafür dann gaaanz sorgfältig ausgestattet wurden. Wer sowas mag, wird auf seine Kosten kommen. Läuft natürlich im Holi, außerdem im UCI Othmarschen.


Und: Der neue Coppola, offensichtlich ein Desaster. Vorlage war ein rumänisches Buch, das eine abstruse Geschichte um Verjüngung, Unsterblichkeit und böse Nazis erzählt, aufgeblasen mit Psychologie und Religion und Esospinnkram. Der verirrte Meister erzählt das brav nach und "fügt außerdem hinzu, was am allerwenigsten gefehlt hatte: Kitsch", so Julian Hanich im Tagesspiegel. Wer nicht glauben kann, dass der Schöpfer des "Paten" mit JUGEND OHNE JUGEND wirklich unzumutbaren Mist fabriziert hat oder wer alle Filme mit Tim Roth sehen muss, geht ins Streits OF oder ins Passage.




Und: Die Dokumentation über die US-Tour von Crosby, Stills, Nash & Young von 2006. Alte Woodstockrecken, die sich mit Anti-Bush-Slogans zu profilieren trachten und das Gefilme gleich selbst erledigen, Regie führte Neil Young, nicht zum ersten mal übrigens. Lustig, dass auf dem Plakat im Gegensatz zu Nash und Young keine aktuellen Fotos von Crosby und Stills verwendet wurden. Würde gleich ein paar Zuschauer kosten, denn die sehen so und so aus. Wer sich das anhören und -sehen will, kann das im 3001 hinter sich bringen, wo diese Woche auch die spanischen Filmtage fortgesetzt werden.


Wöchentliche Provinzialitätsmessung:

Die Tischtennisklamotte BALLS OF FURY und die Wiederaufführung von HAIR haben diese Woche außerdem ihren Bundesstart.
In Hamburg laufen also immerhin 71% der neuen Filme an.



Weiterhin:



HAPPY-GO-LUCKY im Abaton (OmU), im Holi und im Zeise. Ich war noch nicht drin, weiß nicht, ob ich Sally Hawkins als plappernde Poppy ertragen kann, Johanna Adorjan hielt´s jedenfalls kaum aus, wie sie in der FAS schreibt: "Aus mir hat dieser Film einen extrem aggressiven Menschen gemacht. Ich bin gut gelaunt hineingegangen und so geladen wieder herausgekommen, dass ich auf der Stelle nach Hause gegangen bin, um Schlimmes zu verhindern. Selten habe ich jemanden so über alle Maßen unerträglich gefunden, wie diese Frau in diesem Film. Ich muss ein Monster sein."

JULIA findet leider kein Publikum: nur noch am Samstag und Mittwoch spät im Abaton OmU, außerdem im gleichen Haus einmal am Sonntagnachmittag.

BRÜGGE SEHEN UND STERBEN? noch spät im Abaton OmU, im Blankeneser, im Passage und spät im Zeise.

CHIKO wieder täglich außer am Sonntag spät im UCI Wandsbek und am Samstag auch nach Einbruch der Dunkelheit im Hof des Völkerkundemuseums.

INDIANA JONES UND DAS KÖNIGREICH DES KRISTALLSCHÄDELS in fast allen Multiplexen.

Für 6 Euro draußen zu sehen sind diese Woche unter anderem FLEISCH IST MEIN GEMÜSE (am Freitag), DARJEELING LIMITED (am Samstag) und PERSEPOLIS (am Mittwoch), alle im Millerntorstadion.

Und wer NO COUNTRY FOR OLD MEN immer noch nicht gesehen hat, kann das an einigen Tagen im Magazin nachholen, am Samstag läuft im Abaton spät auch erneut die OmU-Fassung.



Filme, die wir zum Glück nicht gesehen haben, Folge 17:

Hitler war auch nur ein Mensch und sieht auch noch aus wie Bruno Ganz, das Ganze als 16-Millionen-Eichinger-Produktion mit großem Begleittamtam inklusive Spiegel-Titelgeschichte, iggitigitt. Die imdb-Liste der Hitlerdarsteller hat übrigens eine beeindruckende Länge, seit der Ganzschen Darbietung gab es bis jetzt allein 38 Männer in der Rolle mit albernem Bart.



Umsonst und zuhause:


Am Donnerstag läuft in der ARD ein tragikomisches Drama von 2005 mit Kevin Costner in ungewohnter Rolle als abgehalfterter Sportler und Joan Allen, die hier ganz wunderbar sein soll, als verlassene, zornige und trinkende Ehefrau. Wenn man das Originalplakat so sieht, ist es nicht schwer zu erraten, wie sie auf den blöden deutschen Titel AN DEINER SCHULTER gekommen sind.Um 23.30 Uhr. ShowView 4.031.381

Kabel 1 zeigt am Dienstag um 20.15 Uhr ENIGMA - DAS GEHEIMNIS, den im besten Sinne altmodischen Spionagethriller nach einer Vorlage von Robert Harris, erstaunlich spannend (es geht um das Knacken des Codes einer deutschen Chiffriermaschine im 2. Weltkrieg) und schön ausschauen tut´s auch. ShowView 5.143.467


NO DIRECTION HOME ist die Dylan-Doku von Scorcese. Läuft nochmal am Dienstag um 22.40 Uhr auf arte. ShowView 33.263.738 Direkt davor PAT GARRETT & BILLY THE KID von Peckinpah mit Dylan in einer Nebenrolle und die Musik hat er bekanntlich auch gemacht. Um 21.00 Uhr, ShowView 2.598.863

Ebenfalls am Dienstag läuft auf BR 3 um 23.25 Uhr KOMM SÜSSER TOD, die gelungene Wolf-Haas-Verfilmung von Wolfgang Murnberger mit Josef Hader als Ex-Cop Brenner. Das österreichische Team macht die besten deutschsprachigen Krimis des Jahrzehnts, 2009 kommt der nächste Fall in die Kinos, DER KNOCHENMANN. Haas selber soll seine Brennerromane als "unverfilmbar" bezeichnet haben, wirkte andererseits aber an bislang allen Filmen mit. ShowView 9.037.399

ÖFFNE MEINE AUGEN erzählt eine traurige Liebesgeschichte aus Spanien, er prügelt, sie bleibt und das geht nicht gut. Am Mittwoch auf arte um 22.40 Uhr. ShowView 2.205.993

Später, in der Nacht zum Donnerstag um 00.20 Uhr läuft im Ersten ICH WOLLTE IMMER EINE HEILIGE SEIN, ein belgisches Coming-Of-Age-Drama von 2003 mit Nouvelle-Vague-Touch. Lief nicht bei uns im Kino. Um 22.15 Uhr. ShowView 1.628.253


Und wie immer gibt es außerdem noch jede Menge weitere sehenswerte Filme, vielleicht mag diese Woche beispielsweise jemand wieder mal FARGO sehen. Oder Tarjkowskifilme, nicht nur STALKER, sondern auch der selten gezeigte IWANS KINDHEIT von 1962 läuft auf 3Sat. Wer suchet, der findet.



Kinos, Folge 35: Das Burg-Kino in Uetersen

Uetersen hat 25.000 Einwohner, aber immer noch ein Kino. Der 60er-Jahre-Bau stand mal zwischendurch ein Jahr leer, wird aber seit 4 1/2 Jahren wieder tapfer bespielt. Geld für Renovierungen gibt´s nicht, die Besucher werden gebeten, doch bitte schön eine "Sesselpatenschaft" zu übernehmen, um so den Ersatz des einen oder anderen defekten Sitzes zu ermöglichen. Weder sieht das Haus aus wie eine Burg, noch gibt es in Uetersen irgendwo eine. Aber hinter dem Kino liegt ein Graben, der vor 800 Jahren mal zu einer Burganlage gehört hat.


Eine Googleabfrage, die letzte Woche jemanden auf diese Seiten führte: "sex beim segeln".

1 Kommentar:

  1. Dass Crosby heutzutage kein schöner Anblick ist, wusste man ja, aber Stills ... Unglaublich.
    Ansonsten gut, dass mal wieder jemand auf den Eichinger-Hitler-Schmutz eindrischt, kann man gar nicht oft genug machen. "Iwans Kindheit" dagegen sollte jeder sehen, das ist einer der besten (das heißt natürlich zwangsläufig auch: einer der deprimierendsten) Filme über den Zweiten Weltkreg.

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