Couscous, Krieg und Kussübungen

Woche 35/2008



COUSCOUS MIT FISCH erzählt die Geschichte eines Hafenarbeiters, der es in den 60ern in Südfrankreich gegen alle Widerstände mit der Eröffnung eines eigenen Restaurants auf einem Kutter versucht. Couscous gibt es, weil der hoffnungsvolle Unternehmensgründer aus dem Maghreb stammt, wie auch der Regisseur, Abdellatif Kechiche, der viel Lob für L´ESQUIVE erhielt. Die Erzählweise soll erfreulich unkonventionell sein, abschweifend, mit viel Zeit für Details und Geschwätz und keiner Zeit für die entscheidenden Wendepunkte, gleichzeitig realistisch und symbolisch. Die Kritiken sind überwiegend wohlwollend, Jan Schulz-Ojala fängt im Tagesspiegel, wo er Kechiche mit Fatih Akin bei uns vergleicht, gar besinnungslos zu schwärmen an: "Das Ergebnis ist die wildeste Skizze der Welt: hier ein dünner Bleistiftstrich, dort Tusche, die ausläuft ins Wasser der Zeit". In der Kinoprovinz läuft COUSCOUS MIT FISCH leider nur in der deutschen Fassung, im Holi, da sprechen alle Franzosen vermutlich das gleiche Deutsch, egal ob sie in Tunis geboren wurden oder im süßen Frankreich.



TAGE DES ZORNS ist ein dänischer Genrekracher, der die Geschichte zweier in Dänemark glorifizierter Widerstandskämpfer gegen die deutschen Besatzer erzählt. Scheint einerseits recht geradlinig und handwerklich passabel die Konventionen einzuhalten und kommt daher, als hätte es ein Hollywood-Budget gegeben, erlaubt sich andererseits aber, erfreulicherweise, einige moralische Ambivalenz. In Dänemark war´s ein Kassenerfolg, wohl nicht zuletzt wegen des frechen Umgangs mit dem im Lande heiklen Thema. Da sieht man immer noch gerne darüber hinweg, dass die große Mehrheit sich gut arrangiert hatte mit den Nazideutschen und feiert lieber das bisschen Widerstand, das es gab. Im Torbogen zum Heidberg-Krankenhaus in Hamburg-Langenhorn steht auf einer Tafel übrigens über den ehemaligen Zweck der Anlage: "Die Kaserne beherbergte auch die SS-Brigade ,Danmark', die aus dänischen Freiwilligen gebildet worden war." Würde ich auch gerne mehr drüber wissen. Wer Interesse hat, sollte sich nicht zuviel Zeit lassen, TAGE DES ZORNS läuft nur im kleinen "Oberen Kino" des Abaton und im Blankeneser, der wird schnell wieder verschwunden sein. Leider gibt es bei uns auch hier wieder nur die synchronisierte Fassung zu sehen, ob in der Wehrmacht oder im dänischen Widerstand, alle sprechen sie deutsch.



Der deutsche Titel lautet FRONTALKNUTSCHEN und um Knutschen und den Richtigen und unzählige Peinlichkeiten, die weibliche Heranwachsende erleiden müssen, geht es auch in dieser Komödie von Gurinder Chadha, die vorher KICK IT LIKE BECKHAM und den Jane-Austen-Bollywood-Mix BRIDE & PREJUDICE fabriziert hat. Die Vorlage ist eine vor allem in Großbritannien populäre Mädchenbuchreihe, die sich vielleicht nicht nennenswert von den "Freche-Mädchen"-Titeln unterscheidet. Die Verfilmung dürfte jedoch um Klassen besser sein als das deutsche Pendant: Komischer, besser gespielt und vor allem ohne Gesang von Ochsenknechtsöhnen. Stattdessen gibt´s zum Beispiel so was Nettes zu hören:

Harmlos und mit obligatorischem Mega-Happyend versehen ist das Ganze trotzdem, wer nicht zur Zielgruppe der 10 - 15jährigen Mädchen zählt, hat im Publikum wohl nichts verloren.
FRONTALKNUTSCHEN läuft im Cinemaxx und in den UCI-Multiplexen.



Außerdem neu:


ROBERT ZIMMERMANN WUNDERT SICH ÜBER DIE LIEBE ist ja erstmal ein vielversprechender, schöner und wegen des Dylan-Bezugs neugierig machender Titel, auch die tarantinoartige Reaktivierung der ehemaligen Godardschönheit Maruschka Detmers lässt hoffen und ein Film im Film über die Adenauerära mit dem Regisseur in der Rolle des Regisseurs hört sich nach einer lustigen Idee an, nur ist der Name des Mannes Leander Haußmann, bewährter Fachmann für hölzerne deutsche Klamaukfilme. Die Kritik zeigt sich diesmal wieder ganz gnädig, aber wenige Sekunden des Trailers genügen, um den Eindruck zu erwecken, dass Haußmann offensichtlich keine wundersame Wandlung zum begabten Filmemacher durchgemacht hat. Mich gruselt´s:

Der Witz mit dem Geburtsnamen Dylans soll übrigens unangenehm plattgewalzt werden und dass für diese Liebeskomödie mit gewollten Bezügen zur REIFEPRÜFUNG der Sohn von Art Garfunkel vor die Kamera geholt wurde, der dann auch noch wie Papa trällert, hört sich nach einer ganz schlechten Idee an. Die Vorlage stammt vom Hamburger Autoren Gernot Gricksch und in Hamburg spielt auch der Film, vielleicht ein Grund für Lokalpatrioten, sich das anzuschauen. ROBERT ZIMMERMANN WUNDERT SICH ÜBER DIE LIEBE läuft in fast allen Multiplexen und der große Saal des Abaton wird auch damit blockiert.


Und: FINNISCHER TANGO, keineswegs eine Doku über eben solchen, sondern eine biedere deutsche Wohlfühlkomödie über Behinderung, Gefühle und Freundschaft. Ulrich Kriest sehnt sich im filmdienst nach folgenreicheren Filmen zum Thema, wie die Serie "Unser Walther", der sich "im Fernsehen seine Eistüte wider Willen mitten auf die Stirn „pappte“, was am nächsten Tag auf dem Schulhof zum Running Gag wurde". Läuft im Passage und im Koralle.



Und: Die Mutter ist Soldatin und im Irak umgekommen, der Vater fährt mit den Töchtern einen Film lang durch die USA zu einem Vergnügungspark(!), wo er ihnen dann die traurige Neuigkeit unterbreitet. Die Schmonzette mit John Cusack ist was für´s Herz, aber wohl nix für´s Hirn, auch wenn die hiesige Kritkerschar sich durchweg sehr angetan zeigt, wohl wegen der irgendwie diffus kritischen Haltung zum Irakkrieg. Die Musik stammt von Clint Eastwood, der zu meinem Erschrecken jetzt offensichtlich auch für fremde Produktionen als Komponist angeheuert wird, um seine süß-klebrigen Simpel-Scores über mehr oder weniger gute Filme zu kippen. GRACE IS GONE läuft im UCI Mundsburg und im UCI Othmarschen.


Und: Eine Komödie mit Eddie Murphy als von Mini-Aliens gesteuertes Raumschiff, die Kritiken in den USA waren verheerend, aber Julia Teichmann meint im filmdienst, das sei unfair, der Film habe durchaus "einige witzige Momente". Wem das reicht, geht in eines der Multiplexe, MENSCH, DAVE! läuft in fast allen.



Die meisten Filme, die zum Bundesstart nicht in der Kinoprovinz anlaufen, tauchen hier nie auf. Diese Woche gibt es aber mal einen verspäteten Start, nur ist das leider ausgerechnet eine Doku über Artisten des André-Afrika-Spektakels, die in ihre jeweilige Heimat begleitet werden und sich ausgiebigst vor exotischem Hintergrund produzieren dürfen. In diesem Zusammenhang sei noch einmal an die Sätze von Godard im Interview mit der Zeit erinnert: "Bei der letzten Fußballweltmeisterschaft schlug man mir vor, die Regie eines Spiels zu übernehmen. Ich hatte vorgeschlagen, mein eigenes Regie-Equipment zu stellen und das Match selbst zu filmen. Meine Version und die des Fernsehens wären gleichzeitig übertragen worden. Aber das Projekt scheiterte, weil der Typ, der das alles organisiert hat, ein Gauner war. Ich glaube, er hieß Heller." BACK TO AFRICA läuft im 3001.



Wöchentliche Provinzialitätsmessung:

Diese Woche starten anderswo außerdem die Doku DIE TODESREITER VON DARFUR und FIVE SEX ROOMS UND EINE KÜCHE, ebenfalls eine Doku, die deutschen Bordellalltag zum Thema hat. Bei uns laufen also 78 % der neuen Filme an. In Berlin laufen sie, wie immer, alle.



Weiterhin:



DER SOHN VON RAMBOW droht leider sang- und klanglos bei uns unterzugehen. In den Multiplexen findet er sein Publikum jedenfalls nicht, in der zweiten Woche läuft er nur noch in Nachmittagsvorstellungen im Cinemaxx, im UCI Othmarschen und im UCI Mundsburg. Was für ein Jammer. Der doofe deutsche Trailer dürfte dem Film auch nicht gerade geholfen haben:

Hier der US-Trailer zum Vergleich:


Und:

39,90 im Abaton, im Zeise und jetzt auch spät im UCI Othmarschen.

HAPPY-GO-LUCKY im Alabama und im Blankeneser, außerdem nur noch nachmittags im Zeise und im Passage, das den Mike-Leigh-Film auch spät am Freitag und Samstag zeigt.

KÜSS MICH BITTE im Holi, nur noch um 18.00 Uhr.

DR. ALEMAN im 3001 und spät im UCI Mundsburg.

ICH HABE DEN ENGLISCHEN KÖNIG BEDIENT im Passage und im Koralle.

DER MONGOLE läuft im Abaton, im Alabama und im Elbe.

Und der DARK KNIGHT läuft im Streits und im Zeise OF, außerdem natürlich in sämtlichen Multiplexen.

Die Auflistung von Open-Air-Teminen spare ich mir diese Woche aufgrund des anhaltenden Scheißwetters. Es gibt weiterhin trostlose Vorstellungen im Millerntorstadion, im Schanzenpark, auf dem Stintfang, auf dem Alsterdorfer Markt, an der Außenalster, im Hof des Lichtmeß und in Wilhelmsburg.

Und wer TÖDLICHE ENTSCHEIDUNG ("The Devil Knows You´re Dead") immer noch nicht gesehen hat, kann das auch diesen Sonntag im Abaton um 22.40 Uhr nachholen. OmU, als "2,99-Special".



Dies und das:

Die Filmfestspiele in Venedig finden gerade statt, wer auf dem Laufenden bleiben möchte, schaut am Besten in Green Cine, eine tägliche deutsche Presseschau liefert filmzeit.


Filme, die wir zum Glück nicht gesehen haben, Folge 23:

Nichts Grundsätzliches gegen Stallone, aber ein Hollywood-Remake des legendärsten aller britischen Gangsterfilme mit Ramborocky in der Rolle von Michael Caine zu machen war schon ein erstaunlich dämlicher Einfall. Hier der Trailer des Originals von 1971:



Was umsonst und zuhause läuft, weiß ich auch noch nicht, ich versuch´s nachzuliefern.


Kinos, Folge 41: Das Cinestar in Berlin-Tiergarten

Unten liegen wenig spektakuläre Multiplexkatakomben, oben befindet sich das verbliebene Imaxkino am Potsdamer Platz. Das wenige Schritte entfernte andere Imaxhaus war 2 Jahre früher fertig und hat vor 2 Jahren aufgegeben.
Unten läuft Mainstreamware in englischer Originalfassung, dafür scheint die Touristensammelstelle unter Federballdach der richtige Ort zu sein.
Oben dagegen werden hauptsächlich die speziellen Imaxdokus gezeigt, meist in 3D. Es ist der einzige Saal im Land, in dem man den DARK KNIGHT in der gigantischen Imaxfassung sehen kann, deutsch synchronisiert übrigens.



Eine Googleabfrage, die letzte Woche jemanden auf diese Seiten führte: "was ist das komische um der holunder blüte".

2 Kommentare:

  1. Kann es sein, dass Du zwei Mal die amerikanische Trailerfassung von "Son of Rambow" verlinkt hast? Konnte jedenfalls bislang keinen Unterschied feststellen.

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