Woche 2/2008
Jetzt schreiben sie wieder alle über Chabrols "sezierende Kritik am Bürgertum". Gähn. Aber vielleicht ist das ja Quatsch und es gibt gute Gründe, sich DIE ZWEIGETEILTE FRAU anzugucken. Vielleicht mag der Mann eine bestimmte Art fieser Geschichten und Charaktere, die sich eben nicht in jedem sozialen Milieu ansiedeln lassen. Vielleicht ist es auch einfach das naheliegendste von der Schicht zu erzählen, der er selber angehört. Und zweifellos erzählt er diese Geschichten meisterhaft, weder schematisch noch altersmilde. Ich kann da nicht genug von kriegen. Diesmal ist das Personal eine schöne junge Wetterfee, ein erotomanischer alter Autor und ein reicher Erbe, offensichtlich eine ziemliche Witzfigur. Und natürlich kommt es zu Mord und Totschlag und das sicherlich schön unspektakulär. Chabrol wird dieses Jahr 78 und dies ist sein 61. Film, falls ich mich nicht verzählt habe. Hoffentlich wird er 100 und bleibt so produktiv. Und hoffentlich spielt das nächste Mal wieder Isabelle Huppert mit. Läuft im Passage und im Blankeneser.
I AM LEGEND ist ein Science-Fiction-Blockbuster, in dem es Will Smith mit ganz bösen computer-generierten Zombie-Mutanten zu tun bekommt. Überraschend und ungewöhnlich für das Genre soll die Atmosphäre im verlassenen New York sein und auch für die Charakterisierung der Hauptfigur wird sich Zeit genommen, jedenfalls solange der Action-Regler noch nicht voll aufgedreht ist. Läuft in den Multiplexen.
Bereits letzte Woche ist eine Dokumentation angelaufen, die ich übersehen hatte: COMRADES IN DREAMS stellt enthusiastische Kinobetreiber aus aller Welt vor. Soll schön und gut sein und läuft im 3001.
Kino ist am allerdümmsten, wenn es Musiker-Biographien erzählt. Visuelles Karaoke. Es ist eine idiotische Grundidee, Schauspieler Personen darstellen zu lassen, deren Aussehen und deren Stimmen uns aus unzähligen Medien bekannt sind. Und es kann gar nichts Vernünftiges dabei herauskommen, echtes Leben in eine dramatische Form zu bringen. Die dämlichen Verkürzungen auf ein paar Schlüsselereignisse sind unvermeidbar. Für wen wird das produziert? Wer Johnny Cash mag, will niemandem dabei zusehen, möglichst glaubwürdig so zu tun, als sei er Johnny Cash. Und erst recht will er niemandem dabei zuhören, der versucht so zu klingen wie Johnny Cash. Das muss für BUNTE-Leser sein, denen die Musik und der Mensch wurscht ist, die sich aber für jeden berühmten Namen interessieren.
Die hier waren alle schon dran:
Woody Guthrie (Dieses Land ist mein Land, 1976)
Billie Holiday (Lady Sings The Blues, 1972)
Frank Sinatra, Dean Martin und Sammy Davies Jr. (Frank Sinatra and the Rat Pack, 1998)
Frankie Lymon (Why Do Fools Fall in Love, 1998)
Bobby Darin (Beyond The Sea, 2004)
Ritchie Valens (La Bamba, 1987)
Jerry Lee Lewis (Great Balls Of Fire, 1987)
Buddy Holly (Die Buddy Holly Story, 1978)
Pattsy Cline (Sweet Dreams, 1985)
Loretta Lynn (Nashville Lady, 1980)
Johnny Cash (Walk The Line, 2005)
Selena Quintanilla-Perez (Selena, 1997)
Edith Piaf (La Vie en Rose, 2007)
Elvis (Elvis, von John Carpenter (!) mit Kurt Russell als Presley (!!), 1979, weitere Fernsehproduktionen 1990 und 2005)
Ray Charles (Ray, 2004)
The Temptations (The Temptations - Aufstieg in den Popolymp, 1998)
The Supremes (Dreamgirls, 2007)
The Beatles (Backbeat, 1993)
Brian Jones (Stoned, 2005)
The Doors (The Doors, 1990)Jimi Hendrix (Hendrix, 2000)
Sonny and Cher (And The Beat Goes On - Die-Sonny-und-Cher-Story, 1999)
Tina Turner (Tina, What´s Love Got To Do With It?, 1993)
The Sex Pistols (Sid und Nancy, 1986)
Kurt Cobain (Last Days, 2005)
Def Leppard (Hysteria - Die-Def-Leppard-Story, 2001)
Wer fehlt da am auffälligsten? Aus der Reihe der zu früh abgetretenen vor allem John Lennon. Seltsam. Aber immerhin gibt´s einen Film über seinen Mörder, für den sich damit das Verbrechen endgültig gelohnt hat. Und demnächst einen über Lennons Jugend. Janis Joplin? Was ist mit der? Voilá. Marvin Gaye? Fast fertig. Und Sam Cooke? Otis Redding? Die waren früher wahrscheinlich zu schwarz und sind jetzt zu obskur für Hollywood.
In Europa war aber genügend Geld aufzutreiben, um sich an Ian Curtis von Joy Division zu vergehen, der natürlich auch in diese Reihe gehört. Den schmutzigen Job hat Grönemeyer-Fotograf und Bono-Freund Anton Corbijn erledigt und weil seine schwarz-weißen Bilder in CONTROL "irgendwie kunstvoller" aussehen und er nicht ganz so plump erzählt wie das Standardbiopic, sind die Kritiker des Lobes voll. In der Zeit, die der Kinobesuch inklusive Hin- und Rückfahrt kosten würde, kann man fast das Gesamtwerk von Joy Divison hören. Und sich dabei Fotos von Corbijn angucken. Die Unbeirrbaren gehen dennoch ins Abaton (OmU), ins Zeise oder ins 3001.
Nachdem ich jetzt alle betreffenden Filme in die Tonne getreten habe, stellt sich die Frage, ob es nicht doch positive Ausnahmen gibt.
Interessanter wird es jedenfalls, wenn die Musiker sich selber spielen. Das sind dann gleich ein paar Probleme weniger. Und ein paar Chancen mehr. A HARD DAY'S NIGHT von Lester mit den Beatles würde auch funktionieren, wenn er von mehr als nur zwei Tagen erzählen würde. Und 8MILE mit Eminem scheint auch nicht blöd zu sein. (Nur will ich keinen Film über Eminem sehen, ganz egal, ob er was taugt.) Todd Haynes Dylan-Film, I'M NOT THERE, der Ende Februar bei uns anläuft, hat einen anderen Ausweg gefunden: Da wird Dylan von 6 verschiedenen Darstellern gespielt, unter anderem Richard Gere und Cate Blanchett (!). Ich würde mich vielleicht auch für ein neues Elvis-Biopic als Stopmotionproduktion interessieren, mit Knetmännchen oder Legofiguren. Oder mit einem Schauspieler, der weder aussieht noch klingt wie Elvis, vielleicht Steve Buscemi. Am Besten wäre es aber, man würde einfach ganz darauf verzichten, sowas zu produzieren. Findet auch Iggy Pop: "Frankly I wish they'd both fuck off and leave their biopics." (über 2 Projekte, ihn betreffend, 2007)
Außerdem weiterhin:
TÖDLICHE VERSPRECHEN im Abaton OmU und im Grindel OF, außerdem noch im Cinemaxx und im UCI Othmarschen in der deutschen Fassung. Ich fand den Film großartig, aber nicht jeder Leser dieser Seite teilt diese Meinung, wie der Kommentar hier ganz unten zeigt.
DARJEELING LIMITED im Abaton OmU, außerdem im Zeise und im Passage.
4 MONATE, 3 WOCHEN UND 2 TAGE nur am Sonntag um halb sechs im Passage.
HOTEL VERY WELCOME immer noch im Studio.
VERWÜNSCHT in den Multiplexen.
PERSEPOLIS im Abaton, im Studio und im Alabama.
MR. BROOKS in Spätvorstellungen im Cinemaxx.
AMERICAN GANGSTER im Alabama, im Cinemaxx, im UCI Othmarschen und im UCI Wandsbek.
RATATOUILLE nur noch mittags im Cinemaxx, am Wochenende auch im Studio, im Alabama, im Zeise, und im UCI Mundsburg.
DER GOLDENE KOMPASS in den Multiplexen, am Wochenende nachmittags auch im Elbe.
Umsonst und zuhause:
Am Montag im ZDF um 00.10 Uhr: NORTHERN STAR, ein ruhig erzählter Film über das Erwachsenwerden in Cuxhaven, mit Julia Hummer.
Am Dienstag auf N3 um 23.45: APRÈS VOUS, anschließend um 1.30 Uhr PREIS DES VERLANGENS, zwei Filme mit Daniel Auteuil, die beide viel besser zu sein scheinen, als zuletzt DIALOG MIT MEINEM GÄRTNER oder MEIN BESTER FREUND im Kino.
Am Mittwoch auf arte um 22.45: Christian Petzolds GESPENSTER, auch mit Julia Hummer. Ich habe ihn nicht gesehen bislang, soll wirklich gut sein.
Kinos, Folge 9: Das Royal in Frankfurt, geschlossen 2003
Zweiteilung und Bioploitation
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backbeat war eigentlich nicht über die beatles, sondern über stuart sutcliffe. war hübsch anzugucken weils in hamburg spielte und zwar im beatles umfeld angesiedelt und dem ganzen dadurch etwas attraktivität verliehm, aber eigentlich gings um diesen stu und seine lebensentscheidungen, wenn ich mich recht erinnere. die musik war nicht von den beatles, sondern von einer grunge band, die die song einspielte, die dadurch härter und besser - wie ich fand - als die beatles selbst. vielleicht egal, aber mir schien er passe nicht so ganz in deinen biopic liste. zu der gehört sonst auch noch 24 hour party people von dem von dir doch sonst geschätzten winterbottom (?) über tony wilson, dem chef von factory records. ich sah den film in newcastle im partypaket mit anschließendem disco-event, bei dem bez, der nervige happy-mondays-bühnenclown, platten auflegte. also sind diese filme letztendlich doch nur was für fans - gerade die gehen sich doch den cash film (oder control etc) angucken, für den sie sich sonst mit dem arsch nicht interessieren würden.
AntwortenLöschenviele grüße
j
"Backbeat" war in der Tat ein netter kleiner Film, erträglich auch dadurch, dass die Schaupieler sich nicht allzu verbissen (à la Joaquin Phoenix) bemüht haben, wie die echten Beatles zu wirken. Und die Bemerkung meines ansonsten geschätzten Vorredners über irgendeine Grungeband, die Beatlessongs besser als die Beatles gespielt haben soll, ignorieren wir zu seinem Vorteil ganz einfach.
AntwortenLöschenKleine Ergänzung: Wenn ein Film wie "Dreamgirls" zählt, in dem die Supremes ja Dreamettes oder so genannt werden, dann gab es schon ein Biopic über Janis Joplin: "The Rose" mit Bette Middler von 1979.
Wenn ein Film eine gute Geschichte gut erzählt, dann ist es mir schnurzpiepe, ob die Hauptfigur ein reales Vorbild hat oder nicht. Insofern existiert für mich das Genre Biopic überhaupt nicht.
AntwortenLöschenWäre deine Einstellung im Lauf der Filmgeschichte Leitlinie gewesen, wären uns zeitlose Meisterwerke entgangen, darunter auch kaum verschlüsselte „Biopics“ wie Welles' „Citizen Kane“, „Wie ein wilder Stier“ von Scorsese oder auch so etwas wie der Watergate-Film „Die Unbestechlichen“.
Absolut jeder Film ist letztlich inspiriert vom wahren Leben, von realen Personen. Und du findest ernsthaft, wenn Lieschen Müller Vorbild war, ist das gut, aber wenn Spartacus, Jesus, Stauffenberg oder Capote es waren, ist das schlecht? Und zwar ganz egal, ob die Geschichte und die Erzählästhetik grandios sind oder nicht? Nein, nein, lieber Gunnar, das ergibt doch keinen Sinn.
Aber ich weiß natürlich, dass wir da einfach nicht zusammenkommen werden … ;-)
Wenn ein Film eine Geschichte erzählen will und sich dafür von realen Figuren oder Begebenheiten inspirieren lässt, habe ich gar nichts dagegen einzuwenden. Das Biopic, von dem ich mir wünschen würde, Du hättest recht und es existierte gar nicht, will aber keine Geschichte erzählen, sondern umfassend das Leben einer bestimmten Person darstellen. Und Biographien ergeben nun mal einfach keine guten Geschichten, sie gehorchen nämlich keiner Dramaturgie. Also muss der tatsächliche Ablauf verkürzt und verbogen werden, damit eine Geschichte daraus wird. Und da ist es doch legitim zu fragen, was soll der Quatsch?
AntwortenLöschenWenn es um Informationen über ein bestimmte Biographie ginge, wäre es doch wohl sinnvoller, sich der vielfältigen Mittel des Dokumentarfilms zu bedienen. Wenn es aber um eine gute Geschichte geht, dann braucht man sich doch nicht mit den biographischen Fakten abzuquälen. Nimm ruhig Jesus und Spartacus und Stauffenberg und Capote als Figuren, am besten alle zusammen in einem Film, da lässt sich bestimmt eine prima Geschichte erzählen. Wenn die Geschichte sich nicht mehr an die Realität hält, dann stören auch die immer zum Scheitern verursachten schauspielerischen Nachahmungsversuche nicht mehr.
Die Popbiograpien im Film sind, wie gesagt, besonders peinlich, weil wir die Vorbilder visuell und akustisch so gut kennen. Da sind die Probleme bei Jesus nicht ganz so groß. Und bei Lieschen Müller erst recht nicht, doch trotzdem möchte ich auch ihr Leben aus den genannten Gründen nicht als Biopic aufbereitet sehen.
Aber es gibt ein Beispiel für ein äußerst gelungenes Lieschen-Müller-Biopic: AMERICAN SPLENDOR erzählt aus dem wenig spannenden Leben des Dokumentars und Comicbuchautoren Harvey Pekar. Pekar hat seine uninteressanten Erlebnisse bereits selber in autobiographischen Comics verarbeitet und diese erste Fiktionalisierung und seine Auswirkungen auf die Realität wird in der filmischen Realität dargestellt. Richtig gut wird es, weil sich der Film all der Probleme, die diese Filmgattung birgt, bewusst ist und alle Fiktionalisierungen ad absurdum führt, wenn der reale Pekar auch noch im Film auftaucht und etwa die Leistung des Pekar-Darstellers kritisiert.
Und wer weiß, Matt, vielleicht kommen wir ja bei I'M NOT THERE zusammen. Nach allem, was ich bislang über den Film gehört habe, dürfte das ein Pop-Biopic sein, das mir trotz allem sehr gefallen wird.
Den Pekarfilm muss ich wohl noch nachholen.
AntwortenLöschen„I'm not there“ ist in der Tat ein echter Sonderfall und fällt in keine der bisher diskutierten Varianten. Dylans Bio – oder besser: die zu pophistorischen Klischees geronnenen Wegmarken (Motorradunfall, Elektrifizierung in Newport etc.) – nutzt Haynes lediglich als Zündfunken seiner sehr gut geölten Assoziationsmaschine.
Er will nicht die Lebensgeschichte eines Künstlers erzählen, sondern eher davon, welche kulturellen (Zerr)bilder sich dank Dylans künstlerischen Maskeraden in unserem kollektiven Gedächtnis festgesetzt haben – und auf welche Ideen sie einen Kinoirren wie ihn so bringen.
Das macht alles ziemlich viel Spaß, aber nur, wenn man viel über Dylan weiß. Der Rest kann immerhin den großartigen Soundtrack genießen, während er sich am Kopf kratzt.